Fruehstueck mit Proust
gelesen.
»Apropos, ich habe noch gar nicht gefragt, wie dein Essen gestern war, so sehr war ich damit beschäftigt, eine Rutschpartie in deiner Badewanne zu probieren.«
»Schön, sehr schön. Es war … richtig … nett.«
Mamoune sah sie aufmerksam und leicht skeptisch an.Sie schien wieder ein bisschen Farbe bekommen zu haben. Was soll ich ihr sagen?, fragte sich Jade. Sie war im Begriff, etwas in sich wiederzufinden, das sie verloren geglaubt hatte, ein Gefühl, von dessen Existenz sie gar nichts mehr wusste. Sie hatte die interessantesten vier Stunden ihres Lebens mit einem Mann verbracht, der ihr Herz unnatürlich schnell schlagen ließ. Und was danach geschehen konnte, war ihr ziemlich gleichgültig. Um auf ein anderes Thema zu kommen, versuchte sie Mamoune zu erklären, wie manche Frauen in ihrem Alter in Paris lebten. Diejenigen, die nicht in einer Beziehung steckten, waren damit so unglücklich, dass sie ständig und um jeden Preis nach der verwandten Seele suchten, auch wenn sie sich selber vorgaukelten, dass sie es wunderbar allein aushielten. Jade erzählte ihrer Großmutter von Kontaktwebseiten im Internet, von Cafés, in denen Singletreffen stattfanden. Sie beschrieb die Fragebögen, die man vorher ausfüllen musste, die
Speed-Datings
, bei denen man sich kurz abschätzte, beschnupperte, »und bei Interesse mehr«. Mamoune hörte ihr ungläubig und betroffen zu.
»Aber du, meine kleine Jade, hast du denn auch solche Krücken fürs Herz gebraucht? So hübsch und so unbeschwert, wie du bist?«
»Nein, Mamoune, ich habe gar nichts gebraucht, ich hatte keine Lust, irgendwen kennenzulernen, solange ich noch mit Julien zusammen war, und mich in irgendwelche Affären stürzen war auch nicht mehr mein Ding. Ich habe Freundinnen zu solchen Dates begleitet und Artikel darüber geschrieben. Die Männer von heute, die Frauen von früher und die Beziehungen von morgen! Seit ich Single bin, laden manche Leute, genauer gesagt,manche Frauen mich nicht mehr ein. Vielleicht bin ich jetzt eine Gefahr für Paare.«
Jade führte nicht weiter aus, dass ihr das anfangs sehr weh tat, sie dann aber festgestellt hatte, dass es eine gute Methode war, die richtigen Freunde von den falschen zu unterscheiden. Sie betrachtete diese Treffen, denen es an jeglicher Magie fehlte, mit halb spöttischem und halb bestürztem Blick. Ihr graute vor solchen Geschichten, denn sie waren der Untergang des Begehrens, die Zerstörung des Vergnügens beim ersten Blick. Nicht der Charme der Verführung, sondern ein Leistungskatalog beherrschte Männer wie Frauen. Verliebtes Stelldichein? Von wegen. Eroberung, Krieg, Provokation, ein grausames Spiel, und das Ganze gefärbt von einer unerträglichen Habgier. Vielen Dank für die Zusendung Ihrer Liebeserklärung, wären Sie wohl so freundlich, mir in Ihrer nächsten E-Mail Ihren Einkommensteuerbescheid zuzusenden?
Jade sah die Kluft zwischen dieser rasenden Jagd nach der verwandten Seele und der altmodischen Sittlichkeit von Rajiv, der über eine Stunde lang die Metrolinie überwacht hatte, mit der Jade am Tag zuvor gefahren war. Auf dem Tisch stand ein Rosenstrauß, es mussten an die vierzig sein, die ihr ein Bote nach dem Frühstück gebracht hatte. Die Blumen waren zur gleichen Zeit gekommen wie der Arzt, den Jade für Mamoune gerufen hatte. Sagen Sie, Doktor, ist das schon eine Autopsie? Ich hatte nur einen kleinen Schwächezustand, wissen Sie … Mamoune nahm alles mit Humor, sie zwinkerte Jade zu und beschwerte sich beim Arzt, dass er sie kitzelte. Und Jade bewunderte wieder einmal ihre Warmherzigkeit.
Sie empfand nicht die geringste Verachtung für das, was Jade ihr erzählt hatte. Obwohl die Verliebten von heute mit ihren freudlosen Zusammenkünften ihr leidtaten, fragte sie nach, runzelte die Stirn, wollte die Verunsicherung begreifen, die dieser Situation zugrunde lag, die sehr weit entfernt war von der, die sie als junge Frau erlebt hatte.
»Jede Epoche hat ihre Irrglauben«, seufzte Mamoune. »Zu meiner Zeit heiratete man, um seiner Familie zu entfliehen, das war auch nicht lustig. Die Mädchen hatten keine Ahnung von gar nichts. Manche kannten nicht einmal ihren eigenen Körper. Der Zauber der Jugend war der einzige Leitstern in den stürmischen Gewässern unserer Ignoranz. Ich hatte das Glück, dass meine Mutter Hebamme war und mich sehr früh aufklärte. Sie war streng, aber auch voller Schalk. Sie liebte meinen Vater, der sie als Einziger aufheitern konnte, wenn sie wütend
Weitere Kostenlose Bücher