Fruehstueck mit Proust
lieber nicht begegnen. Persönliche Sachen. Ich hätte nichts mitgenommen, ohne Jade vorher zu fragen.«
»Ich weiß nichts über Ihr Leben und über Ihre Trennung, Julien, nicht einmal, was Ihnen in dieser Wohnung gehört, aber ich glaube, Sie sollten Jade doch lieber anrufen, wenn Sie etwas mitnehmen möchten.«
»Ja, das sollte ich wohl … aber ich nehme ja nur meine Taucherausrüstung mit.«
Er wirkt so zögerlich und verloren, als sei er längst ohne Ausrüstung untergegangen. Er tut mir fast leid. Er wendet sich von mir ab und beginnt in einem der Flurschränke zu kramen. Dann fragt er:
»Sie hat jemanden, oder?«
»Also, ich wohne jetzt seit vier Wochen hier, Jade hat mich vor dem Altersheim gerettet. Wenn Sie das meinen mit
jemanden haben
, ja, dann hat sie jemanden, und der ist nicht mehr ganz jung.«
Julien scheint sich zu entspannen.
»Nein, Mamoune, das meinte ich nicht, aber ich freue mich für Sie. Jade hat ein großes Herz, und sie liebt Sie sehr.«
Seine Spontaneität wechselt zu bedachteren Wörtern, wie wenn einer meint, er müsse über den Freund, der ihn verraten hat, etwas Gutes sagen, dann aber merkt, dass das gar nicht mehr zu ihrer neuen Beziehung passt. Er zerrt eine Sporttasche aus einem zweiten Schrank und überprüft ihren Inhalt. Mir ist, als hätte ich einen dilettantischen Einbrecher vor mir, der noch schwankt, ob er etwas stehlen oder doch lieber hier einziehen soll. Er bleibt noch einen Moment, fragt, ob er ein Glas Wassertrinken darf. Auf dem Weg zur Küche scheint ihm dieser Ort, der einmal sein Zuhause war, wieder vertraut zu werden. Einen Augenblick lang lässt ihn die schmerzvolle Entdeckung das Gesicht verzerren. Sein Blick fixiert eine Stelle an der Flurwand, wo einmal ein Bild oder ein Foto gehangen haben muss, und als er sich von mir verabschiedet, beißt er die Zähne aufeinander.
Ich bin mir fast sicher, dass er Jade nicht anrufen wird, und ich frage mich, ob ich meiner Enkelin überhaupt von diesem Besuch erzählen soll, der sie bestimmt wütend machen wird. Warum hat er eigentlich noch einen Schlüssel? Am liebsten hätte er mich über Jades Leben ausgefragt, um zu begreifen, warum er dieses Unglück nicht hatte kommen sehen. Aber er ist ein kluger Junge und hat gespürt, dass ich ihm darauf keine Antwort hätte geben können. Er hat verstanden, dass ich mich da raushalten und auch auf die Annäherungsversuche seiner stummen Blicke nicht eingehen werde. Er hat die Wohnung inspiziert, auf der verzweifelten Suche nach einer Spur seines Lebens mit Jade, oder schlimmer, nach den Überbleibseln davon. Seine Verzweiflung hat mich berührt, aber ich möchte mich in die Herzensangelegenheiten meiner Enkeltochter nicht einmischen. Sie scheint selbst ziemlich verunsichert zu sein durch die Trennung. Die heutigen Formen des Einander-Kennenlernens, die mit ihrem Sinn für Romantik, den sie so sorgfältig versteckt, nichts mehr zu tun haben, beunruhigen sie mehr, als sie zugeben möchte. Unter dem Vorwand, mich und mein Alter zu schonen, gibt sie sich beschämt, wenn sie die Makel ihrer Generation beschreibt, die ich für den Ausdruck einer neuen Art von Beziehung der Menschen untereinander halte. Aber die schöne alte Flamme der romantischenLiebe ist in ihrem Roman unübersehbar, selbst wenn sie sich mitunter bemüht, sie hinter der Gewöhnlichkeit eines journalistischen Stils zu verbergen. Ich wünschte, sie würde dieser Eleganz ihren Lauf lassen, anstatt ihre Figuren als Marionetten zu verkleiden und zu karikieren. Wenn sie doch nur ihrem guten Gespür für Menschen vertrauen wollte … Aber ich weiß nicht, ob es sie verletzen oder überzeugen wird, wenn ich sie zu mehr Schlichtheit ermutige.
J ade hatte sich mit Elisa auf der Terrasse eines Cafés am Canal Saint-Martin verabredet, einem Ort, den sie mit dem Sommer in Paris verband. Im Winter kam sie nie hierher, als zöge es sie bis zum Beginn des Frühlings wie einen Zugvogel in wärmere Gefilde. Und seit ihrer Trennung von Julien machte sie einen Bogen um große, gesellige Runden unter Freunden. Sie zog nun persönlichere, intimere Gespräche vor. Beide waren sie im Journalismus tätig, wenn sie auch nicht ganz das Gleiche machten, denn Elisa arbeitete für das Fernsehen, sie für Printmedien. Jade schrieb anonym, während Elisa unter ihrem Namen publizierte. Sie hatten sich vor drei oder vier Jahren bei einem Salsa-Kurs kennengelernt und merkten irgendwann, dass sie den gleichen Humor hatten und auch vieles
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