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Fruehstueck mit Proust

Fruehstueck mit Proust

Titel: Fruehstueck mit Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frédérique Deghelt
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war. Ich wuchs mit ihrer Liebe auf, doch um mich herum herrschte das Grauen. Aufgezwungene Hochzeiten, Gemeinheiten, vertuschte Vergewaltigungen, heimliche und misslungene Abtreibungen, Bastarde, die niemand wollte. Das Schiff Amor schlug oft leck; nimmt man noch Krieg, Elend und Not hinzu, so kann man wahrlich nicht sagen, dass deine Zeit schlimmer wäre, als meine gewesen ist! Sie ist eben anders. Ohne Zweifel haben die Frauen heute einen besseren Platz, und was die Männer angeht, so scheinen sie sich weiß Gott den ihren zu suchen. Jedenfalls sind diese Rosen sehr schön. Es gibt in deiner Welt also auch noch Männer, die zu leben wissen!«
    Ihre blauen Augen funkelten, als sie den Strauß betrachtete. Er ist Inder, Mamoune. Er kommt aus einem Land, in dem alte Menschen nicht verachtet werden!
    Jade wusste, wie geschmeichelt sie über die Karte gewesen war, in der Rajiv schrieb, jede Rose sei ein schöner Augenblick ihres gemeinsamen Essens und der Strauß solle strahlen in der Wohnung von Jade und – ihrer wunderbaren Großmutter. Er hatte nicht unrecht. Wenn Jade durch das Zimmer ging, versetzte es ihr jedes Mal einen kleinen Stich im Herzen beim Anblick dieser Explosion von Rosa bis Dunkelviolett.
    An diesem Abend fand sie nichts Trauriges daran, Mamoune zu umsorgen wie eine Mutter. Sie erinnerte sich an die häufigen Warnungen, wie furchtbar es sei, wenn Kinder die Rolle der Eltern übernehmen und die mitleiderregenden Alten pflegen und hätscheln mussten wie Babys. Solche Beschreibungen endeten immer mit den Worten: »Da ist man nun jung gewesen, um eines Tages so zu enden.« Aber was Jade schrecklich fand, war die Tatsache, dass sie einmal geglaubt hatte, etwas anderes zu sein als ein kleiner, schwacher Körper, der dem Tode geweiht war. Sie hatte Mamoune zu ihrem Bett begleitet, ihr sanft die Füße mit süßem Mandelöl massiert. Sie hatte ihr geholfen, in ihr weißes Nachthemd aus bestickter Baumwolle zu schlüpfen. Alles mit der Langsamkeit des Alters. Jade, die ein Leben im Laufschritt gewöhnt war, hatte sich dem Gang der Zärtlichkeit angepasst. Sie hatte sie umarmt, und diese kleine Zeremonie, die Mamoune an die einer Königin erinnerte, hatte goldene Minuten über die kommende Nacht gesprüht. Was sie im Blick ihrer Großmutter las, als sie ihr einen letzten Kuss auf die Stirn drückte, strafte ihre einstigen Ängste mit einem Gefühl der Beschämung.

Mamoune
    J ade ist sehr aufmerksam. Ich weiß, dass sie sich Sorgen um mich macht. Dabei fühle ich mich doch gut. Sicher besser, als es den Anschein hat. Ich verliere nie aus den Augen, dass all meine Altersgenossen sich in bester Gesundheit wähnen, solange die körperlichen Malaisen sie noch nicht ans Bett fesseln. Wenn ich Pessimistin wäre, würde ich meine momentane Wirklichkeit so umschreiben wie meine Mutter am Ende ihres Lebens, als sie es nicht mehr ertrug: Ich schleppe meine alten Knochen von Zipperlein zu Zipperlein und leide unter allen möglichen Wehwehchen. Als ich zu lesen begann und in all der Zeit, in der ich mich zwischen zwei Buchdeckeln versteckte, fand ich heraus, dass manche Wörter nur zu einer bestimmten Kategorie von Leuten gehören. Etwa »Befriedigung« oder »Wollust«. Aber in einem gewissen Alter haben wir – quer durch alle Milieus – nur noch den Wunsch, das Leben möge sanft zu uns sein. Manchmal trügt mich die Erinnerung, und ich bin mir nicht sicher, ob ich die Dinge, die ich heute weiß, tatsächlichen Begegnungen mit Menschen oder aber Romanfiguren verdanke. Ich bewahre ein liebes Andenken an diese Freunde, die eine Zeitlang an meiner Seite waren, obwohl ich nichts mit ihnen erlebt habe. Sie gesellten sich zu denen, die aus meinem wahren Leben verschwanden. Und ich könnte alle jene, die ich in Büchern geliebt habe, ohne je mit ihnen zu sprechen, beim besten Willen nicht von meinen Freunden in der Wirklichkeit unterscheiden.Sind die einen weniger wichtig als die anderen? Warum stelle ich mir diese erdachten Personen als Tote vor, wo ich sie doch jederzeit wieder aufsuchen und mich aufs Neue in ihr Abenteuer begeben kann? Ich glaube, sie sind in ganz gleicher Weise durch mein Leben gegangen. Aber heute hätten sie nicht mehr den Reiz des Neuen, der zutreffenden Antwort, die sie mir gaben, als ich sie darum bat. Es ist, als hätten sie die Macht verloren, die sie in meinem Gedächtnis zum Leben erweckte wie echte Wesen.
    Ich habe meiner Enkeltochter versprochen, mich zu schonen, und war heute noch nicht

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