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Fruehstueck mit Proust

Fruehstueck mit Proust

Titel: Fruehstueck mit Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frédérique Deghelt
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draußen. Ich habe meinen Kaffee auf dem Balkon getrunken, um einen morgendlichen Sonnenstrahl zu genießen und zu versuchen, in dieser grünen Oase mindestens drei verschiedene Vogelstimmen zu erkennen. Ich habe einige Passagen ihres Romans noch einmal gelesen und mir neue Notizen gemacht, die ich ihr aber erst geben werde, wenn ich sie noch einmal überprüft habe und ihrer ganz sicher bin. Diesmal habe ich den Rahmen des rein Literarischen verlassen und mich dem eher Banalen zugewandt. Durch unser Gespräch über die amourösen Begegnungen der jungen Leute von heute kann ich in Jades Roman nun besser zwischen den Zeilen lesen.
    Es wäre anmaßend zu glauben, ich sei von etwas Höherem beseelt gewesen, das die Jugend von heute nicht mehr zu kennen scheint. Als Jade mich gestern nach dem Krieg fragte und wissen wollte, ob ich mit zwanzig Patriotin gewesen sei und was dieses in ihren Augen unzeitgemäße Wort für mich bedeute, rief ich: Großer Gott, nein! Patriotismus war in meiner Jugend etwas für die Veteranen des vorigen Krieges! Ich war eine friedlichejunge Frau. Was mich in die Résistance trieb, waren die stampfenden Stiefel, diese Sprache, die ich nicht verstand und die alles ringsum beherrschte, diese Typen in Kriegsuniform, die eines Morgens auftauchten und erklärten, sie seien hier zu Hause. Das hat mich zur Patriotin gemacht, diese Soldaten haben mich als junge Frau davon überzeugt, dass dieses Land meine Heimat war, die es zu verteidigen galt. Das war eine dringende Notwendigkeit. Patriotische Gesinnung blieb für mich immer eine Worthülse, die sich gut in Reden machte.
    Und weil ich von einfacher Herkunft bin, schien mir später nicht etwa Geld oder irgendeine Art von Erfolg erstrebenswert, sondern der Zugang zur Bildung. Ja, ich war neidisch auf die Ungezwungenheit und die geistige Beweglichkeit, die das Wissen einem verleiht. Ich war besessen von dem Ehrgeiz, diese Beweglichkeit im Denken zu erreichen, und von der Angst, es niemals zu schaffen. Ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, Jade die Bedeutung dieses Wunsches und den Traum, den er mir gewährt hat, verständlich zu machen.
    In Gedanken bin ich immer noch bei meiner Diskussion mit Jade, als ich am Nachmittag, gemütlich in einen Sessel gekuschelt, das Fernsehgerät einschalte und sie erblicke: eine Schar hundertjähriger Japaner. Ein Wissenschaftler erklärt, was er bei der Untersuchung ihrer Gehirne mit Hilfe von medizinischer Bildherstellung entdeckt hat. Einer von ihnen hatte mit fünfundsiebzig Jahren angefangen, Taiwanesisch und Chinesisch zu lernen. Dadurch konnte er einen bestimmten Bereich seines Gedächtnisses, der in diesem Alter normalerweise nur als winziger Punkt in Erscheinung tritt, erheblich vergrößern. Die tägliche Hirngymnastik, die diese Menschensich auferlegen, um ihre grauen Zellen zu pflegen und zu stimulieren, hält mich seit einer Stunde in Bann. Ich habe nicht gehört, wie die Tür aufging … Ich schrecke auf, als sich eine männliche Gestalt im Gegenlicht abzeichnet. Instinktiv strecke ich die Hand aus, als eine sanfte Stimme sagt:
    »Entschuldigen Sie, Mamoune. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich bin’s, Julien, erinnern Sie sich an mich? Jades Freund … Oder Exfreund, wenn Ihnen das lieber ist.«
    Der Klang seiner Stimme und sein Versuch, meinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, holen mich in mein Alter zurück. Logisch, im Vergleich zu diesen hundertjährigen Japanern fühlte ich mich seit einer Stunde wie ein Backfisch, der ihren Tricks lauscht, um es auch zu bleiben.
    »Ach, mein kleiner Julien, natürlich«, sage ich und schlage einen den Umständen entsprechenden Ton an.
    Auf einmal scheint es ihm unangenehm, mitten im Zimmer herumzustehen. Er tritt von einem Fuß auf den anderen und traut sich nicht, mich richtig zu begrüßen oder mir die Hand zu geben. Ich schaue ihn an. Er ist groß und sportlich. Das dichte blonde Haar, das sein Gesicht umrahmt, gibt ihm etwas Engelhaftes. Freundlichkeit und Unschlüssigkeit sind die ersten beiden Wörter, die einem in den Sinn kommen, wenn man ihn sieht. Ich versuche ihn zu beruhigen, indem ich ihn frage, wie es ihm geht, so als wunderte ich mich gar nicht über sein Erscheinen. Er gibt mir keine Antwort.
    »Ich hätte vorher anrufen sollen, ich wusste nicht, dass Sie hier sind. Ich dachte, Jade würde heute arbeiten, donnerstags ist sie immer in der Redaktion. Aber es ist mir,ehrlich gesagt, ganz recht, ich wollte nur ein paar Sachen abholen und ihr

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