Frühstück um sechs
hat.
Soll ich weiterlesen?«
»Nein, um Himmels willen nicht!
Ich muß jetzt zum Baby.«
»Wie geht’s denn überhaupt dem
armen kleinen Wurm?«
»Tadellos! Und es ist kein
>armer kleiner Wurm<, verstanden?«
»Liebling, wie nett und mütterlich
von dir! Du hättest Dr. Chavasse bestimmt gefallen.«
Von dieser Stunde an trat der
weise alte Arzt bei ihr an die Stelle des Buches über Psychologie, Gott sei
Dank!
Elizabeth blieb zwei Wochen bei
uns, und ich vermißte das Kind sehr, als Mrs. Jolson — nachdem sie ihre Mutter
zur letzten Ruhe gebracht — es wiedergeholt hatte. Auch Paul vermißte die
Kleine, ich wußte, daß er mich unruhig beobachtete, ob ich nicht zu grübeln
anfinge oder mich beklagte, daß ich einsam sei, und heimlich weinte. Die Lämmer
hatten die Wohnung verlassen und eine Pflegemutter bekommen. Ich hatte dem
leichten Herzens zugestimmt, als Elizabeth kam, und spürte keinen mütterlichen
Drang mehr zur Pflege der kleinen Tiere.
Ich grübelte weder, noch weinte
ich. Obgleich das Haus jetzt still und leer war, tröstete ich mich insgeheim
mit dem Gedanken an das oft gehörte, angeblich sicherste Mittel für eine Frau,
die sich ein Kind wünscht: Sie soll vorher ein fremdes betreuen. Vielleicht
bewährte sich dieser Glaube bei Elizabeth?
19
Auf einer Schaffarm gibt es im
November keine Zeit zum Trübsal blasen, sondern nur einen Gedanken, die Schur,
und die Frage, ob das Wetter sich hält.
Die Farmer, die zu den >Rehabilitierten<
gehören, hatten einen gemeinsamen Schuppen zum Scheren, der auf unserem
Grundstück lag. Also trieben die beiden anderen ihre Schafe zu uns, und dann
wurde, auch wenn das Wetter dauernd gut blieb, drei Wochen pausenlos geschoren.
Es war ein viel tollerer Betrieb, als ich mir vorgestellt hatte.
Die Scherer waren Maoris, die hier
schon mehrere Jahre gearbeitet hatten. Der Haken dabei war, daß wir sie
beköstigen mußten. Und das war ein Stück Arbeit mit der Verpflegung! Von
Sonnenaufgang bis spät abends folgte eine Mahlzeit der anderen, die ganze
Zwischenzeit war mit Kochen und Geschirrwaschen ausgefüllt.
Ich fragte Larry, wie es
möglich sei, daß die Leute so viel äßen. Das ginge ja den ganzen Tag.
Sie antwortete lachend: »Die
Arbeit ist sehr anstrengend, und das Essen gehört mit zum Lohn, liebes Kind.«
Am nächsten Tag brachte sie ein
Buch mit — das erste Mal, daß Larry mich
auf ein literarisches Gebiet führte. Noch dazu Verse. Sie las mir laut ein ganz
witziges Gedicht vor, das die pausenlose Folge der Mahlzeiten schildert, denen die Scherer sich widmen.
In dem Buch, das sich mit dem
Landleben im Busch beschäftigte, waren die Schafscherertypen echt und
vorzüglich gezeichnet und war viel von ihrer grenzenlosen Eßlust die Rede. Zu
meiner Freude stellte ich fest, daß unsere Scherer mein gutes Essen zu schätzen
wußten.
Die Farmer in unserem Gebiet
schimpften eigentlich gewohnheitsmäßig über die Maoris. Paul gab zwar zu, daß
sie besser schoren als die Pakehas, behauptete aber, sie seien unzuverlässig
und schwer zu behandeln. Jedoch das lag wohl daran, daß er nicht besonders gut
mit ihnen umging und sie ihn deshalb nicht sonderlich mochten. Ich fand sie
höflich, und ihre unbesieglich frohe Laune gefiel mir sehr.
Natürlich hatten sie auch ihre
Eigenarten. Ihre Verpflichtung, am 1. November zur Stelle zu sein, hielten sie
nicht ein, vielmehr erschienen sie mit strahlendem Lächeln erst am Abend des
2., als Paul schon nicht mehr mit ihnen rechnete und fluchend die Schafe wieder
vom Hof auf die Koppeln gejagt hatte. Zehn Tage klappte alles tadellos, aber
dann, als sie gerade mit Tims Schafen zur Hälfte fertig waren, kamen sie mit
kummervollen Gesichtern zu ihm und erklärten, eine ihrer Tanten sei gestorben,
sie müßten unbedingt zur Totenfeier. So gern, so überaus gern sie weiterscheren
wollten, es helfe nichts: diese Tante hätten sie zu sehr geliebt. Ich weinte
beinah aus Mitgefühl, so rührend brachten sie das heraus.
Sie schworen, nach drei Tagen
wieder dazusein. Als vier vergangen waren, fuhr Tim voller Wut zu dem
vermeintlichen trauernden Witwer, wo ihn jedoch die >Verstorbene< selbst
begrüßte. Mit ihrer Hilfe und unter Anwendung erheblicher Gewalt holten sie die
>trauernden Neffen< zusammen, die Tim sofort im Wagen zum Wirtschaftshof
zurückbrachte, wo er ihnen befahl, ihren Rausch in der Scheune auszuschlafen.
Am nächsten Morgen kamen sie harmlos freundlich und fröhlich zum Vorschein und
sprachen, gewiß
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