Frühstück um sechs
Anne trug ein entzückendes Kleid und sah sehr hübsch aus, obwohl mir ihr Gesichtchen nicht mehr so rund schien wie sonst. Sobald es möglich war, verzogen wir uns für zehn Minuten in das unbeschreibliche Chaos meines Schlafzimmers.
»Das war aber eine Überraschung für mich, Sie als Brautjungfer hier wiederzusehen!« sagte Anne.
»Beinahe hätte es eine schlimmere gegeben«, sagte ich, und erzählte ihr von dem Kleid. Plötzlich kam uns alles sehr komisch vor. Ich fragte schließlich: »Wie gefällt’s Ihnen denn in den Ferien?«
»Ach, nicht anders als sonst. Immer dasselbe. Man lernt Leute kennen, fährt mit ihnen herum, ladet sie ein und hofft nachher, daß sie nicht kommen. Ich habe das ja so satt!«
»Wann kommen Sie denn von der Reise zurück?«
Anne wurde rot und blickte mich ganz hilflos an. »Oh, Susan, ich weiß nicht. Anscheinend will Vater von der Farm nichts mehr wissen — und ich liebe doch das Landleben so! Kann mir gar nichts Schöneres denken.«
Ich hielt es für das beste, zu sagen: »Einerlei wann ihr wiederkommt, ich werde mich jedenfalls freuen. Aber jetzt wollen wir lieber zu den anderen zurückgehen, ja?«
Doch sie zögerte noch. »Sie fahren morgen schon nach Hause? Sie Glückliche!«
»Ja, ich freue mich auch. Elegante Hochzeiten sind freilich immer strapaziös. Ich werde Grüße von Ihnen bestellen.«
»Oh, ja, bitte grüßen Sie alle von mir! Ihre Schwester sah schön aus als Braut, und die Hochzeit war herrlich, aber trotzdem...«
»Das muß ich auch sagen, ruhige Hochzeiten sind vorzuziehen.«
Die Hochzeitsfeier machte mir schließlich doch noch Freude. Es war schön, die alten Bekannten wiederzusehen und von dem oder jenem zu hören, daß man so jung aussähe wie noch nie — auch wenn man insgeheim den Verdacht hatte, daß vielleicht das Gegenteil gemeint war. Lionel Erskine war Trauzeuge für seinen Bruder. Ich kannte ihn schon lange. Mutter hatte da sogar einmal bestimmte Hoffnungen gehabt. Die waren freilich durch nichts begründet, und weder Lionel noch ich litten darunter, daß sie unerfüllt geblieben waren. Immerhin war in dieser Umgebung ein kleiner Flirt ganz reizvoll und ohne Gefahr. Ich nahm das jedenfalls bei einem Hochzeitsfest nicht ernst. Aber der Flirt fand ein jähes Ende. Lionel fiel mir ein bißchen auf die Nerven, bis ich halb wie im Traum sagte, es sei doch lästig, daß der Mensch so leicht die Masern kriegen konnte, und wie er übrigens mein Kleid fände. Deirdre hätte es doch gerade in dem Augenblick anprobiert, als bei ihr die Masern ausbrachen. Das genügte. Er entfernte sich von mir, als hätte er einen Stich bekommen, und ich gab ihm den freundlichen Rat, sofort zu gurgeln. Er brach ziemlich früh auf.
Felicity fuhr unter einem Wirbel fröhlicher Zurufe in einem Regen von Konfetti und Rosenblättern in die Flitterwochen ab. Sie küßte mich trotz des »maserigen« Kleides sehr zärtlich und sagte: »Du bist lieb, Susan, und das Kleid stand dir ja viel besser, als es bei Deirdre ausgesehen hätte, aber denke daran, tüchtig Atemübungen zu machen zur Verschönerung der Büste.«
Ich fuhr am nächsten Abend mit dem Schnellzug ab. Vater und Mutter brachten mich zum Bahnhof.
Mutter sagte: »Die Älteste steht einem eigentlich doch am nächsten, und ich freue mich so, Liebling, daß du auf diese Weise zu dem schönen Kleid gekommen bist.«
Vater meinte: »Warte mit deinem nächsten Besuch nicht erst, bis auch Dawn heiratet, hörst du? Und versuche, deine Kenntnisse in Kreuzworträtseln aufzufrischen. Das wäre doch auch für dich und Paul abends eine erholsame Beschäftigung.«
Ich schlief auf der ganzen Reise fest, an die Schulter eines mir ganz, fremden männlichen Wesens gelehnt, das sich ein- oder zweimal regte, um mich zu fragen: »Tasse Tee gefällig? Sie wollen sicher zur Universität, nicht wahr?« Ich stöhnte nur eine verneinende Antwort und schlief weiter.
Als ich mich in Te Rimu bei trübseligem Frühlicht aus dem Abteil zwängte, stellte ich mir die Frage, wie ich die Autofahrt nach Hause wohl ganz allein schaffen würde. Doch zum Grübeln blieb mir nicht viel Zeit. Als ich vorsichtig meinen Weg über die Schienen verfolgte — denn der Zug hatte wie gewöhnlich auf halbem Wege zur nächsten Station haltgemacht — tauchte aus den grauen Nebelschwaden eine Gestalt auf. Eine geliebte Stimme sagte: »Gib mir mal den Koffer. Vorsichtshalber bin ich schon gestern abend mit dem Postomnibus hergekommen, um dich selbst von hier
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