Fuchsteufelswild
Ehegespinst nach drauÃen.
»Herr Hopf«, beginnt die Wiesner noch einmal, »warum sinds vor uns weggelaufen?«
Der Mann atmet schwer.
»Ich hab niemanden umgebracht«, flüstert er.
»Was?« Die Wiesner neigt ihm den Kopf zu. Fast bettet sie ihn neben ihm auf das Kissen. »Wieso sind Sie geflüchtet?«
»Weil ... Sie glauben, ich hab den Brandl umgebracht.« Seine Hände krallen sich ins Betttuch.
»Ich glaub gar nix. Wir sind hier ned in der Kirche. Wenn Sie davonlaufen, frag ich mich, warum. So einfach. â Warum?«
»Ich hab ihn gefunden.«
»Wen, den Brandl?«
Der Hopf schlieÃt die Augen, als müsste er das Bild heraufbeschwören. Tief holt er Luft.
»Der war tot, das hab ich gleich gesehen.«
»Aha. Warum habens nicht die Polizei gerufen?«
»Weil ich Angst bekommen hab. Der eifersüchtige Ehemann findet den Toten. Kennt man doch. Und ich hab nicht gewusst, ob meine Frau ...«
Eine Krankenschwester kommt mit einem lauten »So, Herr Hopf« hereingeplatzt. Rote kurze Haare und eine spitze Nase, fast als hätte sie Modell für die Meckifiguren gestanden. Geschäftig reiÃt sie dem Mann die Decke weg. Die Wiesner kann ihn im knappen Krankenhausleiberl bewundern. Nicht sehr vorteilhaft. Zum Glück flackt er auf dem Rücken. Schamhaft geht es zu im Krankenhaus, wie auf der Swingerparty.
»Schauen wir mal, was die Infusion macht. Ham Sie Schmerzen?« Sie wendet sich kurz an die Polizisten. »Machens ned zu lang, bittschön, gleich schaut der Arzt noch einmal rein.«
Die Wiesner zieht sich einen Stuhl heran und setzt sich zum Patienten.
»Jetzt schildern Sie mir den Samstagabend â und vergessens nix.«
Der Hopf lässt die Augen zu.
»Der Mann steht unter Medikamenten, des merkens doch«, mahnt die Schwester, »und er muss gleich noch mal zum Röntgen, wenn der Doktor da war.«
Hier regiert sie. Die Wiesner hat keine Lust auf Schlammcatchen.
»Wir hams gleich«, beschwichtigt sie die Frau. »Des is wichtig.«
»Wichtig ist erst einmal, dass unser Herr Hopf wieder auf die Beine kommt. Gell, Herr Hopf, des kriegen wir schon hin?«
Das inkludierende »Wir« hat die Wiesner nie verstanden. Ihr eigenes Krankenhausabenteuer liegt ja nicht weit zurück. Die Atmosphäre ist überall identisch. Der Geruch, die Geräusche, klaustrophobische Momente.
Was der Hopf ihnen stammelnd auftischt, mag sie nicht einfach fressen. Ein Klassiker. Den haben sie ihr so oft vorgespielt, dass sie die Augen verdreht, wann immer der Text recycelt wird. Die Tür wär nur angelehnt gewesen, und der Hopf wäre rein in die Wohnung. Im Flur hätte der tote Brandl Toni gelegen. Er wär sicher rangegangen und hätte die Leiche angefasst und dann nix wie raus. Und wenn er nicht gestorben ist ...
Die Wiesner betrachtet das Häuflein Elend. Ist er ein Märchenerzähler? Hätte er es im Kreuz, jemanden den Hals umzudrehen? Sie denkt an den vogelwuiden Sprung von der Brücke. Unüberlegt, impulsiv, die personifizierte Verzweiflung. Die ganze Nacht wär er umanand und hätte nicht mehr ein noch aus gewusst. In der Wohnung vom Brandl wären bestimmt seine Fingerabdrücke. Umbringen hätte er sich aber nicht wollen â nur nicht gewusst, wohin. Aber da wär ja sein Sohn, an den müsse er denken. Die Vermutung mit den Fingerabdrücken bestätigt sie ihm. Auch im Schlafzimmer hat er die hinterlassen!
Die Leute sollte man nicht unterschätzen, grad die armen Würschterl. Ein jeder hätte es wohl im Kreuz, wenn du ihn hineintreibst mit dem Ochsenziemer in den Schlachthof. Wenn sie dich ausweiden wollen und dir das Fell über die Ohren reiÃen wie einem Karnickel. Wenn du nicht mehr weiÃt, wie du morgen existieren sollst. Den einen brackt es auf die Erde, und er kommt nicht mehr hoch und trenzt sich aus. Den findest du vielleicht bald unter der Isarbrücke auf einem zerfledderten Matratzenstück. Der andere lässt es scheppern und gibt das tollwütige Viech, bis nix mehr steht um ihn rum. Vielleicht hat er gscheit zustoÃen wollen, mit den Hörnern, die ihm sein Eheweib aufgesetzt hat. Da wär er nicht der Erste, der die Kränkung nicht hinunterschluckt. Sahnetorte ist das keine.
DrauÃen erkundigt sich die Wiesner nach dem Zustand vom Hopf. Er wird noch eine ganze Weile Krankenhausinsasse bleiben müssen.
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