Fucking Berlin
doch nichts schmeckte mir. Jeden Morgen telefonierte ich mit Ladja und hörte die Neuigkeiten aus Berlin. Er erzählte mir, dass er mich schrecklich vermisse, und beendete jeden Anruf mit einer Liebeserklärung, die mich total kaltließ.
Nach sieben unendlichen Tagen fuhr ich wieder in die Klinik, diesmal im Taxi. Das Geld für den Eingriff bezahlte ich sofort und bar: tausendfünfhundert Franken. Dass es sich dabei um eine beträchtliche Summe handelte – umgerechnet rund tausend Euro –, war mir völlig gleich. Ich hatte in den vergangenen Tagen das Fünffache verdient und wollte das alles hier nur möglichst schnell hinter mich bringen. Schwanger nach Hause zu fahren ging auf keinen Fall. Denn ich konnte mir gut vorstellen, wie das liefe: Letztlich würde Ladja mich davon überzeugen, das Kind zu behalten. Gutgläubig, wie er war, würde er wohl nicht mal mitkriegen, dass es von einem anderen Mann war.
Die Empfangsdame mit den mandelförmigen Augen zählte penibel die Geldscheine und ließ mich mehrere Formulare unterschreiben. Irgendwann lag ich dann wieder auf der Liege im Behandlungszimmer und zitterte am ganzen Körper. Wieder Ultraschall, wieder Gespräche, die mir nichts nutzten.
»Ist es wirklich Ihr Wille?«, fragte mich der Arzt ein letztes Mal. Ich nickte. Ich bekam eine Nadel in den Arm und versuchte, mich zu entspannen. Gott soll mir verzeihen – falls er überhaupt existiert, dachte ich. Dann nahm ich ein leises Summen wahr, es klang wie ein Geräusch, das ich von den Samstagnachmittagen meiner Kindheit kannte, wie ein Rasenmäher in der Ferne …
Drei Stunden später durfte ich wieder gehen. Die Krankenschwester, die gerade den Raum betreten hatte, schaute überrascht zu, wie ich mich hastig anzog. »Vielleicht sollten Sie sich lieber entspannen«, empfahl sie mir, doch ich wollte diesen Ort des Todes möglichst schnell hinter mir lassen und nach Berlin fahren. Mir war schwindelig und ich blutete stark, doch ich konnte ohne Probleme laufen, wenn auch langsamer als sonst.
Ich bekam zum Abschied einen Zettel mit einigen Telefonnummern von Beratungsstellen, die ich nie im Leben anrufen würde. »Sie können sich selbstverständlich auch an uns wenden, wenn sie Hilfe brauchen«, sagte die Assistentin mit besorgter Stimme.
Der Züricher Hauptbahnhof war geschmückt mit silbernen Kugeln und Lametta, es war die dritte Adventswoche. An kleinen Ständen wurden Glühwein, kandierte Äpfel und handgemachte Holzfiguren verkauft. Ich fühlte mich müde, leer und einsam und wünschte mir nichts sehnlicher als jemanden, mit dem ich reden könnte. Ich trug über zweitausend Euro bei mir, doch es war dreckiges Geld. Ich hatte das Gefühl, dass an den Scheinen unschuldiges Blut klebte, und musste mich fast übergeben. Ich rief Ladja an, doch er war mit einem seiner sporadischen Jobs beschäftigt.
Als ich endlich im warmen Zug nach Berlin saß, kam alles wieder hoch. Ich schmiss meine Tasche auf den Boden und weinte hemmungslos, so laut, dass die anderen Passagiere sich umdrehten.
»Kann ich Ihnen helfen? Ist Ihnen was zugestoßen?«, fragte mich besorgt ein alter Herr. Er hatte einen weißen Bart, rote Wangen und sah aus wie ein gutmütiger alter Weihnachtsmann. Ich schüttelte den Kopf. Ich will Milan, dachte ich, ich will, dass er mich umarmt und die ganze Nacht bei mir bleibt.
Ich hatte mein Kind getötet. Ich würde es nie in den Armen halten können, nie würde ich seinen Geburtstag feiern, die ersten Schritte und den ersten Tag im Kindergarten erleben. Vielleicht würde ich auch nie wieder schwanger werden, stattdessen einsam alt werden und eines Tages allein in meiner Wohnung sterben.
Als die Grenzoffiziere meinen Pass kontrollierten, hatte ich mich beruhigt, zumindest schluchzte ich nicht mehr so laut. Ich schlief ein, als wir die Schweiz verließen, und wachte erst kurz vor Berlin wieder auf.
Zu Hause angekommen, kroch ich ins Bett und blieb dort liegen. Ladja, den ich kaum begrüßt hatte, machte sich Sorgen und wollte mich zum Arzt schleppen.
»Ist nur eine Grippe«, stöhnte ich. »Lass mich bitte in Ruhe.«
Ich zog die Vorhänge meines Schlafzimmers zu und schlief tagelang. Es war kein guter, erholsamer Schlaf, wie man ihn sich nach einem langen Arbeitstag gönnt. Ich lag einfach im Bett, dämmerte vor mich hin und dachte an nichts.
»Ich denke, dass sie irgendwelche Probleme hat, doch sie redet nicht mit mir«, hörte ich Ladja zu Tomas sagen, als die beiden im Wohnzimmer saßen.
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