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Fucking Berlin

Fucking Berlin

Titel: Fucking Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Rossi
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heraus. »Willst du das Kind behalten?«
    »Nein.«
    Ich saß still auf dem kalten Stein, Regen tropfte auf meinen Kopf. Sie schaute mich nachdenklich an. Nach einiger Pause sagte sie ruhig: »Ich habe die Adresse von einer guten Klinik. In der Schweiz geht es viel unproblematischer als in Deutschland. Und ich denke, je schneller, desto besser. Ich weiß, wovon ich rede.«
    Ich schaute sie an und blieb stumm.
    »Aber jetzt kommst du rein, und zwar schnell. Es wäre eine Katastrophe, wenn du auch noch krank würdest«, sagte sie und packte mich am Arm. Meine Hände waren schon so taub, dass ich fast nichts mehr spürte.
    Am nächsten Morgen, noch bevor der Betrieb im »Golden Gate« losging, telefonierte Shila (so hieß die schwarze Kollegin) mit einer Freundin und notierte sich Adresse undTelefonnummer auf einem Zettel. Diesen reichte sie mir kommentarlos und sah mich mit einem mitleidigen Blick an.
    »Hast du es bereut?«, fragte ich sie. Sie lachte höhnisch.
    »Mir ist während der Arbeit ein Gummi gerissen. Ich bin schon alleinerziehende Mutter einer siebenjährigen Tochter. Noch ein Kind, und dann noch von einem Kunden? Nein, ich habe es nicht bereut.«
    Ich fühlte mich halbwegs erleichtert. Shila umarmte mich herzlich, bevor sie in ihr Zimmer ging, um zu packen. Es war ihr letzter Tag in der Schweiz. Ich sah sie nie wieder.
    Die Klinik lag in einem Vorort von Zürich, ich musste ewig mit der Straßenbahn fahren und mehrmals umsteigen. Als ich am Ziel war, bemerkte ich als Erstes die adretten Reihenhäuser in der Umgebung, mit schrägen Dächern und weißen Zäunen davor. Am Ende der Straße stand ein rundes, modernes Glasgebäude, das wie ein Bürokomplex aussah. Neben der Eingangstür waren mehrere kleine Schilder angebracht: eine Anwaltskanzlei, eine Physiotherapie-Praxis, ein Call Center – und noch ein gelbes Schild, das mir zeigte, dass ich am richtigen Ort war. Langsam lief ich durch den Hof, klingelte, öffnete die Tür, stieg in den Fahrstuhl und fuhr bis in den vierten Stock. Es kam mir alles ganz irreal vor, wie ein schlechter Traum, der hoffentlich bald zu Ende sein würde. Doch keiner weckte mich.
    Die Minuten vergingen langsam, zäh wie Kaugummi. Ich schaltete den MP 3 -Player an, hörte »Asche zu Asche« von Rammstein und dachte mal wieder, dass es nichts Besseres gibt als diese Art von Musik, wenn man sowieso schon am Ende ist …
    Der Arzt drückte mir kräftig die Hand. Er war ein großer, schlanker Mann mit graumeliertem Haar und himmelblauen Augen, die mich unentwegt fixierten. Ich saß wieein Häufchen Elend vor ihm, mein Blick war auf den Boden gerichtet. Nach einem kurzen Gespräch musste ich mich frei machen, auf einer Liege Platz nehmen und die Beine spreizen. Als er das Ultraschallgerät anschaltete, schloss ich die Augen. Ich wollte den Embryo nicht sehen, auf keinen Fall wollte ich mir erlauben, dass sich Gefühle einschlichen.
    »Neunte Schwangerschaftswoche«, stellte er fest. Ich fühlte, wie das Blut in meinen Schläfen pulsierte. Ich dachte an Milan, der wahrscheinlich gerade seine Tochter in den Kindergarten brachte oder mit Natalie frühstückte. Er musste nicht die Konsequenzen einer leichtsinnigen Nacht tragen.
    Es folgte der unangenehme Teil des Gesprächs, von dem ich nur Fetzen mitbekam. »Ich bin gesetzlich verpflichtet, Sie über Folgendes in Kenntnis zu setzen«, fing er an. Obwohl er sich bemühte, hochdeutsch zu sprechen, hatte er einen starken schweizerischen Akzent. Er skandierte jedes einzelne Wort, wie ein Staatsanwalt, der eine schwerwiegende Anklage vorliest. »Sie müssen sich Ihrer Entscheidung sicher sein und dürfen sich darin von niemandem beeinflussen lassen, denn es ist eine Entscheidung, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann«, fuhr er fort und ließ noch Weiteres folgen, worüber er mich nach Recht und Gesetz unterrichten musste.
    Irgendwann hörte ich nicht mehr zu. Es folgten Blut- und Urintests, ich ließ alles über mich ergehen. Am Ende bekam ich einen Termin für die Woche darauf. Zum Abschied wies mich der Arzt noch einmal darauf hin, ich solle gründlich über meine Entscheidung nachdenken. Er betonte das Wort »gründlich«.
    In den nächsten Tagen arbeitete ich wie gewohnt weiter, nur dass ich dabei total abwesend war. Ich ließ mich fickenund lecken und fühlte nichts, ich ließ mir Finger in den Arsch stecken, was ich sonst nie machte – es war mir alles scheißegal. Ich aß, um nicht umzukippen, rauchte wie eine Besessene,

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