Fucking Berlin
Abgesehen davon, brauchte ich dringend Geld für ein paar Anschaffungen und von dem Verdienst der »Oase« waren nun mal keine Sonderausgaben zu finanzieren. Das Geld reichte gerade mal für mich und Ladja, der nach wie vor nur sporadisch jobbte und nie wirklich etwas Dauerhaftes fand – oder finden wollte.
Ehe ich mich’s versah, saß ich im ICE auf dem Weg nach Zürich. Diesmal war auch alles viel einfacher. Ich musste meinen Freunden und Ladja nicht allzu viel erklären. Sie glaubten mir, dass ich in der Schweiz als Messehostess arbeiten würde – zumindest taten sie so. Nur Jule wusste Bescheid darüber, was ich dort wirklich machte. Selbst Milan sagte zu meinem Auslandstrip nichts, obwohl ihm schnell klar war, dass ich dort anschaffen ging.
Das »Golden Gate« war der beste Club, den ich je gesehen hatte, zumindest was die Ausstattung betraf. Der Aufenthaltsraum war zunächst nicht weiter ungewöhnlich: ein langer Holztresen, sanfte Beleuchtung, ein paar Pflanzen. Als die Chefin, eine vierzigjährige Schweizerin, mir aber die Zimmer zeigte, war ich beeindruckt. Jeder Raum war mindestens dreißig Quadratmeter groß, hatte eine Dusche mit Kabine und ein Himmelbett. Auf dem Holzboden lagen weiße, kuschelige Teppiche, auf den Kommoden brannten Duftkerzen. Man fühlte sich wie in der Suite eines Designhotels.
Das Team bestand aus allen möglichen Nationalitäten. Angesichts von dreißig Kolleginnen verzichtete ich von Anfang an darauf, mir die Namen zu merken. Viele der Gäste waren Italiener, weil die italienische Grenze nicht weit weg war, jedenfalls nicht weit genug für die Bewohner eines Landes wie Italien, in dem es keine Bordelle gab.
Ich freute mich, weil ich in Berlin nicht oft Gelegenheit hatte, Italienisch zu sprechen, und immer Trinkgeld bekam, wenn ich hier zum Beispiel für eine italienische Reisegruppe übersetzte. Unangenehm wurde es nur, wenn die Fragen zu persönlich wurden. Da ich eine Landsfrau war, fühlten sich die Italiener nämlich total frei, mit mir über alles zu reden, was sie interessierte, und so hörten sie gar nicht mehr auf, sich nach meinem Privatleben zu erkundigen: Aus welcher Ecke Italiens ich käme, ob ich verheiratet wäre, war um ich diesen Scheißjob überhaupt machen würde, es zwänge mich ja niemand, was ich studieren würde und so weiter. Einer fragte sogar, ob ich von den Liparischen Inseln käme. Als ich ihn schockiert ansah, gab er zu erkennen, dass er Professor für Sprachwissenschaften in Rom sei und die Dialekte meiner Heimat studiert habe. Im Bett versuchte mich Herr Professor dann davon zu überzeugen, ohne Gummi zu poppen,weil man ja sozusagen unter sich sei. Dieses »Argument« hatte ich schon öfter gehört und meine Standardantwort lautete: »Hey, Schatz, ohne Kondom ficke ich nur mit meinem Mann, damit das klar ist. Also entweder so, wie ich sage, oder du holst dir selber einen runter.«
Nette Kunden hatte ich auch, etwa einen Rechtsanwalt aus Genf, der mir satte hundert Franken Trinkgeld daließ, und einen jungen DJ aus Basel, mit dem ich mich sehr gut verstand und nett reden konnte und der mit mir im Laufe eines einzigen Abends gleich mehrere Male auf Zimmer ging. Nach drei Tagen quoll mein Portemonnaie über vor Scheinen, alles Fünfzig- und Hundert-Franken-Noten. Allein am vierten Tag verdiente ich umgerechnet fünfhundert Euro – mein persönlicher Rekord bis dahin. Ich war so ausgiebig beschäftigt, dass ich, anders als in Freiburg, keine Zeit hatte, die Kolleginnen kennenzulernen und mich mit ihren Geschichten auseinanderzusetzen. Obwohl ich jede Nacht erst um drei Uhr ziemlich groggy ins Bett fiel und täglich eine Schachtel Zigaretten rauchte, fühlte ich mich angesichts der Kohle, die ich machte, ziemlich gut.
Eine Woche verging schnell und ein Tag war fast wie der andere: Freier, Sex, Geld, oberflächliche Gespräche über das Wetter und mein Studium. Eines Tages, es war der dritte Dezember, schaute ich auf den Kalender. Plötzlich störte ein unangenehmer Gedanke meine Routine: Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal meine Tage bekommen? Ich merkte mir sonst immer alle möglichen Daten, auch die weniger wichtigen. Nur die Ruhe – das liegt bestimmt sicher an dem ganzen Stress mit Ladja, sagte ich mir, während ich an der Bar saß und beobachtete, wie zwei Mädchen sich um einen alten Sack stritten. Trotzdem stand ich am nächsten Tag früh auf, lief zur nächsten Apotheke und kaufte einen Schwangerschaftstest. Es war nicht der
Weitere Kostenlose Bücher