Fucking Berlin
das alles, weil Männer in ihren Augen eben ein Recht auf eine Geliebte haben. Hauptsache, er heiratet sie, schwängert sie und sorgt dann für die Familie.«
Irgendwann hing ich mit dem Kopf über der Toilette und dachte, ich ginge zugrunde. Vera war immer noch auf ihrem Hass-Trip. »Ich habe ein Bild von ihr gesehen. Sie ist fett, hat eine Hakennase und Akne!«, schrie sie. »Haben solche Weiber kein bisschen Stolz? Ich könnte nicht mit einem Mann leben, wenn ich wüsste, dass er eine andere hat.«
Als ich wieder aufstehen konnte, ging ich zu Vera und umarmte sie. Ihr Eyeliner war verschmiert, ihr schönes Gesicht sah aus wie das einer Schornsteinfegerin.
»Weißt du«, sagte ich, »ich glaube, dass wir es nie verstehen werden. Wir gehören zum Glück nicht zu dieser Art Frauen.«
Keine von uns fuhr an dem Abend nach Hause. Wir fielen erschöpft auf das runde Bett im asiatischen Zimmer und schliefen ein.
»Ich mache es«, gestand mir Tomas eines Abends, als wir mit Ladja an der Bar im » SO 36 « saßen.
»Was denn?« Das schweißdurchtränkte T-Shirt klebte an meinem Rücken und mein Hals kratzte von vielen hastig gerauchten Zigaretten.
»Ich fahre für immer nach Hause«, erklärte er mir und holte zur Bekräftigung einen Busfahrschein aus seiner Hosentasche. Trotz Alkohol war sein Blick ruhig und entspannt.
»Was ist mit deiner Freundin?«, fragte ich. Ich hatte die beiden schon lange nicht mehr zusammen gesehen.
»Ach, sie weiß nicht, was sie will«, seufzte Tomas. »Vor zwei Monaten hat sie mich nach einem Streit rausgeschmissen, dann wollte sie, dass ich wieder bei ihr einziehe. Heiraten will sie zwar schon, aber jetzt ist es ihr zu früh. Ich wohne mittlerweile bei einem Typen aus dem Kiez, einem jungen Franzosen. Er ist echt locker – ich habe ihm diesen Monat keine Miete bezahlt und er hat nichts gesagt. Aber ich fühle mich irgendwie scheiße. Ich will nicht mehr von Almosen leben.«
»Und was willst du dann in deinem Dorf? Dort gibt es gar nichts!«, erwiderte ich. In Wirklichkeit wollte ich Tomas auf keinen Fall weggehen lassen. Über die Jahre war er für mich wie ein Bruder geworden. Er war der einzige Mensch, zu dem ich gehen konnte, wenn ich mit Ladja Stress hatte, weil er ihn am besten kannte. Er bezog nie für jemanden Partei, sondern versuchte immer zu schlichten.
Wie oft hatte er nach einer durchzechten Nacht bei uns gepennt oder wir bei ihm. Am Tag danach hatten wir unseren Kater oft mit Knoblauchsuppe und Orangensaft bekämpft. Ich spürte, dass ich ihn wahnsinnig vermissen würde.
Ladja kam lachend von der Tanzfläche zurück. Als ervon Tomas’ Abreise erfuhr, war seine Freude mit einem Schlag weggepustet. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, doch die Partystimmung war dahin.
»Er hat es schon tausendmal angekündigt und nie durchgezogen«, sagte er, als wir vor dem Einschlafen im Bett lagen.
»Er hat schon ein Ticket gekauft«, erwiderte ich und knipste das Licht aus.
Tomas meinte es diesmal tatsächlich ernst. An einem Morgen im August begleiteten wir ihn schließlich zum Busbahnhof.
Die Nacht davor hatten wir noch mal lange im »California« gesessen und waren dann in einem Keller im Prenzlauer Berg gelandet, einem Club, der so neu war, dass er noch gar keinen Namen hatte.
Als wir um sechs Uhr morgens total kaputt in einer Döner-Bude saßen, dachte immer noch niemand daran, schlafen zu gehen. Sarah, Tomas’ Freundin, die im Laufe der Nacht dazugekommen war, trank langsam ihren türkischen Tee und weinte still in sich hinein, große Tränen kullerten ihre Wangen hinunter und fielen auf ihren Teller. Im Hintergrund beschallte uns ein fröhlicher Mallorca-Hit von DJ Ötzi, der so gar nicht zu unserer trüben Stimmung passte.
Auf dem Weg zum Busbahnhof brachte niemand ein Wort heraus, dafür waren wir alle zu müde und zu traurig.
»Ich habe mit meiner Mutter telefoniert. Heute Abend gibt es Bigos und Pirrogis und mein Vater hat mir eine Tour mit seinem Motorrad versprochen«, erzählte Tomas, als wir an der Abfahrtstelle standen. Er lächelte glücklich. Nach sechs Jahren würde er endlich seine Eltern in Schlesien wiedersehen.
Vor dem Reisebus sammelten sich die Fahrgäste mit ihren schweren Taschen und drängten zur Tür. Mancherauchten hastig eine letzte Zigarette oder versuchten, mit dem Fahrer um Extragepäck zu verhandeln. Tomas hatte nur einen kleinen, schwarzen Rucksack, seine Sachen hatte er an Bekannte verkauft oder verschenkt. Uns vermachte er
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