Fünf alte Damen
Doktor Watson. Der selige Conan Doyle hätte
seine Freude daran. Hast du was gefunden?»
«Nee. Genausowenig wie oben. Still wie
ein Friedhof der ganze Laden.»
«Hör auf von Friedhof», sagte ich
leise, als könnte die alte Dame es hören. «Trink lieber— »
Diesmal fuhren wir beide zusammen.
Wir hatten die Gläser in der Hand, aber
wir kamen nicht bis an den Schaum.
Ein Klingelton zuckte durch das Haus.
Von unten her, wie ein Schlag vom Keller zum Dach. Kurz, dringlich und hart.
Wir saßen wie erstarrt, als wäre eine
Bombe explodiert. Jeder dachte das gleiche: Es geht los.
«Telefon?» flüsterte ich.
«Nein, Haustür.»
«Reinlassen?»
Daniel setzte lautlos sein Glas auf den
Tisch zurück. Ich wollte es auch tun, aber dann tat mir die Blume leid, und ich
nahm einen kräftigen Schluck.
Ehe Klingel schrillte zum zweitenmal.
Ich sah in Daniels Gesicht.
«Muß wissen, wer das ist», sagte er leise.
«Ich geh runter. Bleib du oben an der Tür. Wenn was passiert, schließ sie ab
und ruf die Funkstreife. »
Er kam aus seinem Sessel. Ich folgte
ihm.
«Daniel», sagte ich, «soll ich nicht
lieber— »
«Mach, was ich dir sage», knurrte er.
«Heldspielen nützt uns nichts.»
Ich hielt die Tür einen Spalt auf und
sah ihm nach. Er ging langsam die Stufen hinunter, eine Hand in der Tasche. Dann
war er an der Tür. Ich sah, wie er an einem Schalter drehte. Er zog den Riegel
zurück. Meine Pulszahl stieg an.
Daniel trat hinter den rechten
Türflügel. Mit der linken Hand drückte er die Klinke. Knarrend ging die Tür
auf.
Über das dunkle Rechteck fiel das Licht
der Außenbeleuchtung. Eine Gestalt stand darunter. Klein, dunkel, mit einem
mächtigen Hut, den sie lüftete in weitausholendem Bogen.
Ich sah den Denkerschädel und das fahle
Weiß des Haarkranzes.
«Guten Abend! Ist es erlaubt
einzutreten?»
Der Rektor.
Daniel schob sich vor die Türöffnung
und nahm die Hand aus der Tasche.
«Ihnen ist es erlaubt, Herr
Oberstudiendirektor. Bitte sehr.»
«Ah, der Herr Kommissar! Ich dachte es
mir. Sind Sie meinem Rate doch gefolgt! Sehr lobenswert!»
Ich schloß schnell die Tür und verließ
meinen Posten, um den Anschein zu erwecken, als hätte ich die ganze Zeit
uninteressiert am Kamin gesessen.
Der Rektor trat durch die Tür. Ich
blinzelte in seine Richtung und erhob mich.
«Sieh da, unser Herr Doktor! Tres
faciunt collegium! Sehr erfreut!»
Ja. Drei machen einen Verein.
Er schüttelte mir fröhlich die Hand.
Seine Faunaugen funkelten, und keine Spur von Überraschung war darin.
«‘Guten Abend, Herr Professor», sagte
ich. «Fein, daß Sie uns Gesellschaft leisten wollen.»
Daniel wies auf den Sessel in der
Mitte, in dem Agnes gesessen hatte.
«Wie ist es mit Whisky? Frau Lansome
hat mir Vollmacht erteilt.»
Er rieb die Handflächen aneinander.
«Nun, eigentlich sollte ich keinen
trinken um diese Stunde— aber in so einem Falle kann ich mir wohl eine Ausnahme
gestatten. Bitte sehr.»
Während Daniel noch ein Glas holte,
warf ich ein paar Scheite in das Kaminfeuer, um es am Leben zu halten. Der
große Raum war kühl, trotz der Juninacht ringsum, als würde dieses Haus niemals
richtig warm. Wir erhoben die Gläser. Beim Trinken beschloß ich, mich über
nichts mehr zu wundern, was auch passieren sollte. Später wunderte ich mich
über alle Maßen.
«Vortrefflich», sagte der Rektor und
setzte sein Glas nieder. «Tja, meine Herren— auch ich hielt es für meine
Pflicht, in dieser Nacht noch einmal nach dem Hause zu sehen, Frau Lansome— wie
geht es ihr?»
«Sie ist vor einer Stunde schlafen
gegangen», antwortete ich. «Sie war müde und hat morgen die Reise vor sich.»
«Verständlich, verständlich! Sie ist die
Jüngste nicht. Aber mit dem Aeroplan— da ist es wohl zu ertragen.»
Aeroplan. Auch so ein Wort von 1910. Er
war kaum da, und schon fehlten fünfzig Jahre.
«Sind Sie mit ihrer Gesundheit
zufrieden, Herr Doktor?»
«Leidlich», erwiderte ich. «Die
Aufregung war ein bißchen viel für das Herz. Aber jetzt geht es.»
«Das zu hören freut mich. Und, Herr
Kommissar— haben sich neue Gesichtspunkte ergeben— wenn es nicht vermessen ist,
diese Frage zu stellen?»
«Leider noch nicht.» Daniel sah aus wie
ein Schüler beim Abitur. «Wir verfolgen alle Spuren weiter— auch wenn Frau
Lansome fort ist.»
«Das ist recht. Was man nicht aufgibt,
hat man nicht verloren. So sagt Schiller. Trinken wir auf eine baldige Lösung
dieses Falles.»
Wir taten es.
«Vielen Dank»,
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