Fünf alte Damen
Dann aber nicht dieses Hemd.»
«Sie sieht mich mit ihren Augen», sagte
ich. «Ich kann anhaben, was ich will. Alles an mir ist schön.»
«Da muß sie sehr jung sein.»
«Teenager. Sie sind doch auch einer.
Was kann man denn so einem Mädchen mitbringen?»
«Wie alt?»
Sie war die Sachlichkeit selber.
«Einundsiebzig.»
«Geniale Umschreibung für siebzehn— »
«Einundsiebzig», sagte ich. «Agnes
Lansome. Unsere letzte alte Dame.»
Sie hörte auf, mit den Spritzen zu
klappern. Sie sah sehr attraktiv aus in diesem Moment.
«Sie hat Sie eingeladen?»
«Sie nicht. Daniel, der große
Kundschafter.»
Sie verstand nichts und blieb still
stehen. Ich betrachtete sie in aller Ruhe, als sähe ich sie zum erstenmal.
Verteufelt schön war sie.
«Was hat der denn— »
«Die Dame fährt morgen nach England»,
sagte ich. «Daniel kommt auch. Wir setzen uns in den Salon, und wenn der Mörder
kommt, spielen wir Skat mit ihm.»
Mechthild antwortete nicht. Sie ging
hinaus und räumte im Verbandzimmer auf. Ich machte alle Eintragungen, die noch
fehlten. Als ich meinen Mantel an den Haken hängte, kam sie zurück.
«Fertig?»
«Ja. Eine Spritze hab ich
kaputtgemacht. Die zwanziger. Der Kolben saß so fest— »
«Sie ruinieren mich in Grund und Boden.
Hinaus mit Ihnen.»
Sie setzte ihre Pudelmütze auf die
Flaumfedern.
«Jawohl, Herr Doktor. Schönes
Wochenende. Wiedersehen.»
«Gute Nacht», sagte ich. «Ich geh
schlafen. Muß heute abend einen frischen Eindruck machen.»
Ich wollte an ihr vorbei zur Klinke
greifen. Da drehte sie sich um.
«Was ist? Zwei Spritzen kaputt?»
Sie sah mich an, als wäre ich ihr Kind.
«Wenn— das heute abend vorbei ist—
rufen Sie mich an?»
«Warum?»
«Ich will’s nur wissen.»
«Warum?»
Sie sagte nichts. Ich nahm langsam die
Hände nach oben und faßte sie an den Ohren. Vier Finger hinten, Daumen auf dem Ohrläppchen.
Dann machte ich mich etwas kleiner. Ihre Lippen waren straff und weich zu
gleicher Zeit. Ich richtete mich schnell wieder auf.
«Neunundachtzig neunundsechzig
zwoundsiebzig», sagte sie.
Ich wußte die Nummer sowieso auswendig.
Es war neun Uhr am Abend.
Das Haus Kreuzallee 11 hob sich gegen
die letzte schwache Helligkeit des Himmels ab, als ich hielt und ausstieg. Ich
stand hinter einem anderen Wagen in der Nähe einer Laterne. Ich schloß ab,
klemmte meine Mappe unter den Arm und wanderte langsam auf das Portal zu.
Zu beiden Seiten lief ein
schmiedeeiserner Zaun, der sich zu dem Tor emporschwang. Die Häuser standen
hier alle weit auseinander, und viel Platz war darum herum. Der Weg teilte die
Rasenfläche. Einzelne niedrige Büsche schüttelten sich leise im matten Wind,
der aufgekommen war.
Das Haus wirkte wie die Kulisse eines
englischen Kriminalfilms. Erkertürmchen und glimmende Fenster. Das Tor war
nicht verschlossen. Langsam ging ich über den Weg auf die schweigende Burg aus
Stein zu. Es war, als müßte sich gleich die schwere Tür öffnen und Sherlock
Holmes herauskommen, mit Shagpfeife und karierter Mütze, oder ein Chefinspektor
von Scotland Yard mit hartem Hut. Die richtige Umgebung für unser Vorhaben.
Als ich den massiven Glockengriff in
Bewegung gesetzt hatte, kam nach einer Weile Daniel und öffnete. Das Licht fiel
von hinten über seine Gestalt und warf seinen Schatten gegen mich.
«Du bist hier schon wie zu Hause, was?»
«Komm rein. Es gibt Scotch.»
«Was anderes paßt hier auch nicht her»,
sagte ich. Er drückte die Tür hinter mir zu.
Auch die Eingangshalle sah aus, als
träte gleich Seine Lordschaft näher, mit Backenbart und Hosenbandorden. Die
Apotheke in England schien allerhand eingebracht zu haben. Und nun auch noch
der Lottogewinn. Agnes brauchte bloß zu annoncieren, und sie hatte wieder einen
Mann.
Wir stiegen über einen lautlosen Läufer
die gebogene Treppe hinauf. Kerzenförmige Lampen an der Wand gaben gerade so
viel Licht, daß man die nächste Stufe sah. Oben war ein plattformartiger
Vorbau, auf den auch die Treppe von der anderen Seite mündete. Daniel schwenkte
einen gewaltigen Türflügel zurück. Im Hintergrund des großen Raumes sah ich das
gemütlichste Kaminfeuer meines Lebens. Die Whiskyflasche auf dem flachen
Rauchtisch flimmerte golden vor den Flammen. An der linken Seite saß Agnes und
wandte uns ihr Gesicht zu.
«Ach, Doktor Klein! Nein, daß Sie sich
auch die Mühe machen! So ein Aufwand wegen einer alten Frau!»
Daniel antwortete an meiner Stelle.
«Wir holen nur nach, was
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