Fünf Brüder wie wir
während ich eure Mutter in die Klinik fahre. Kann ich mich da auf dich verlassen?“
Jean Eins musste sich geschlagen geben. „Ja, Papa“, sagte er.
Wir begleiteten sie zur Tür.
Papa trug die gepackte Tasche. Er wirkte etwas nervös und suchte überall nach seinen Schlüsseln. Mama hatte ein merkwürdiges Lächeln auf den Lippen. Sie hatte so lang auf diesen Augenblick gewartet! Sie umarmte uns alle, einen nach dem anderen, und befahl uns, brav zu sein. Dann beobachteten wir vom Fenster aus, wie sie unten ins Auto stiegen.
Der Streik, die Demonstration, unser Katalog mit Forderungen, das war alles vergessen. Mama fuhr in die Klinik und wenn sie wiederkam, würde nichts mehr so sein wie vorher: Wir wären für immer zu sechst.
„Jungs!“, sagte Jean Eins. „Wir sind für einen Fernseher noch nicht bereit! Lasst euch das von mir sagen!“ Und damit zog er den Vorhang zu.
„Deine Mutter muss deswegen nicht anrücken“, hatte Papa zu Mama gesagt. „Wir kommen ganz gut ohne sie zurecht. Stimmt doch, Jungs, oder?“
Normalerweise wohnt Oma Jeannette bei uns, wenn Mama wieder ein Baby kriegt.
Oma Jeannette ist sehr nett, aber sie möchte uns immer herumkommandieren. Sie überwacht das Badezimmer, damit wir nicht so tun, als würden wir uns waschen, aber nur das Wasser laufen lassen. Sie zwingt uns, Krawatten umzubinden, bevor wir aus dem Haus gehen, und außerdem müssen wir uns zwanzigmal am Tag die Zähne putzen.
Anfangs ist Papa immer lustig und entspannt. Er nennt sie Schwiegermama, siezt sie und bringt ihr einen Blumenstrauß mit, wenn er von der Arbeit kommt.
Aber das geht nur die ersten Tage so. Danach kippt die Stimmung ziemlich schnell um. Papa muss immer Pantoffeln anziehen, damit er das Linoleum nicht beschmutzt, und seine Pfeife auf dem Balkon rauchen, weil Oma hinter vorgehaltener Hand zu hüsteln beginnt, sobald er sie sich anzünden will. Wenn sie abreist, hat Papa drei Kilo abgenommen, er hat tiefe Ringe unter den Augen, bis über die Hälfte der Wangen, und die Ohrfeigen sitzen bei ihm so locker, dass man am besten nicht mal den kleinen Finger rührt.
„Du bist ungerecht“, sagte Mama. „Meine Mutter weiß gar nicht, wie sie es noch anstellen soll, damit du zufrieden bist.“
„Nichts einfacher als das“, sagte Papa. „Sie braucht nur bei sich zu Hause zu bleiben, damit würde sie mir die größte Freude machen.“
Wir freuten uns, mit Papa allein zu bleiben. Nur wir sechs, unter Männern. In seiner Jugend war Papa bei den Pfadfindern und ist häufig als Betreuer in Ferienlager mitgefahren, deshalb kann man rumlärmen, laut streiten und mit üblen Schimpfwörtern um sich werfen, wenn Mama nicht da ist. So Jungssachen eben, die Frauen einfach nicht verstehen.
Als Papa an dem Abend aus der Klinik zurückkam, warteten Jean Eins und ich auf ihn.
„Falscher Alarm“, sagte er, als er seinen Regenmantel auszog. „Aber der Arzt behält sie lieber da. Es ist bald so weit.“
Er warf sich erschöpft in einen Sessel.
„Weil die Kleinen schon im Bett sind, wie wär’s, wenn wir uns einen Schluck genehmigen würden, hmm? Nur was für Große?“, fragte er.
Es war noch ein Rest von dem Himbeerlikör übrig, den Opa Jean selber macht. Papa schenkte jedem von uns einen winzigen Schluck davon ein und sich selbst einen doppelten Whisky. Er zündete sich eine Pfeife an.
„Auf euch!“, sagte er. „Und auf das Baby, das bald zur Welt kommt!“
Es war das erste Mal, dass ich Alkohol getrunken habe. Es schmeckte streng und gleichzeitig zuckrig und auch ein wenig eklig, aber um nichts in der Welt hätte ich mir das anmerken lassen.
Süßer Pfeifenrauch zog durch das Zimmer, wir Großen waren unter uns und unterhielten uns über die Fußballweltmeisterschaft, über das 24-Stunden-Rennen von Le Mans und über die Cowboyfilme, die wir im Rex-Kino anschauen wollten.
„So, jetzt aber ab ins Bett!“, sagte Papa, als die Standuhr Mitternacht schlug. „Wenn eure Mutter wüsste, dass ich euch erlaubt habe, so lang aufzubleiben, dann würden hier die Wände wackeln!“
Der nächste Tag war ein Sonntag.
Mama, die sehr auf Ordnung hält, hatte Papa eine Liste geschrieben, auf der stand, was er zu tun hatte.
„Gut“, sagte er und setzte seine Brille auf. „Dann mal der Reihe nach. Das scheint mir ja alles nicht sehr schwierig zu sein.“
Jean Eins erklärte sich bereit, das Frühstück zu machen. Anfangs summte Papa noch vor sich hin, aber als er gleichzeitig Jean Fünf die Windeln
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