Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
hatte sie gelernt zu jagen, zu fischen, zu schwimmen, auf Bäume zu klettern und wer weiß was sonst noch. Das war alles andere als damenhaft, doch ihre Eltern hatten nur gelacht. Irgendwann wurde ihrem Vater jedoch klar, dass sie sich allmählich zu einem regelrechten Wildfang entwickelte, und da lachte er nicht mehr. Er wies seine Frau an, dafür zu sorgen, dass Evangeline an die Kandare genommen wurde. Schließlich mussten sie an ihre gesellschaftliche Stellung und ihre Heiratschancen denken.
Die Nonnen in der Schule hatten sich alle Mühe gegeben, den Schaden wiedergutzumachen, doch seit sie das Kloster im vergangenen Sommer verlassen und ihre Saison begonnen hatte, hatte sie alle ihre wohlgemeinten Bemühungen zunichte gemacht. Als Debütantin hatte sich Evangeline kopfüber in Frivolitäten und Maßlosigkeit gestürzt. Sie hatte nur Einkäufe, Kleideranproben und Partys im Kopf und trieb sich in Nachtclubs herum, in denen wohlerzogene Mädchen nichts zu suchen hatten. Auf dem prachtvollen Ball heute Abend würde sie ein Ballkleid aus Paris und, das wusste Celeste zufällig, einen Ring der Familie Fitzroy an ihrem rechten Zeigefinger tragen, den man ihr mit der Zustimmung ihrer Eltern überreicht hatte und den sie unbedingt tragen sollte. Daraufbestand ihre Mutter, sonst fühlte sich Maurice möglicherweise gekränkt. Doch trotz alledem sah Evangeline gelangweilt aus.
Celeste hielt nichts von einer Saison für Debütantinnen. Sie selbst und Evangelines Mutter waren altmodisch erzogen worden. Die Zeit zwischen Schule und Eheschließung verbrachten sie zu Hause und lernten, einen Haushalt zu führen und einen Mann glücklich zu machen. Man hatte ihnen beigebracht, wie man die Dienerschaft anleitet, Blumen arrangiert, Menüs plant und sogar kocht. Herumtreibereien gab es nicht.
Celeste schauderte bei dem Gedanken daran, wie Evangeline in ihrer Ehe zurechtkommen würde. Über Nacht würde sie Herrin über zwei stattliche Häuser werden, das Plantagenhaus der Familie Fitzroy in Belle Triste und die Villa in New Orleans. Maurice würde natürlich erwarten, dass alles wie ein Uhrwerk funktionierte, und dann käme jedes Jahr ein Baby. Nun, Celeste hatte im vergangenen Jahr nach Kräften versucht, die Lücken in Evangelines häuslicher Erziehung zu schließen, doch das Mädchen hatte kaum Notiz von den Bemühungen seiner Tante genommen.
Am anderen Ende des Tisches rauchte Evangeline eine Zigarette nach der anderen, nippte zwischendurch an ihrem Wein und gab sich nicht die geringste Mühe, mit dem Engländer neben sich oder mit sonst jemandem zu reden. Celeste gab den Dienern ein diskretes Zeichen, Miss Evangelines Weinglas nicht mehr aufzufüllen und den nächsten Gang aufzutragen. Dann wandte sie sich, ganz die perfekte Ehefrau und Gastgeberin, mit einem Blick hingebungsvoller Aufmerksamkeit den Gesprächen der Männer zu. Als sie hörte, dass sie sich über Politik, über Geschäfte und zum hundertsten Mal über das unterhielten, was man in Washington sagte, wirkte ihr Gesichtsausdruck keineswegs weniger interessiert, doch innerlich stöhnte sie auf. Die europäische Niederlassung des Unternehmens der Familie Fontaine war in großen Schwierigkeiten, das wusste sie. Und trotzdem gab Evangelines Familie so viel Geld für den Ball heute Abend aus. Sie wollte nicht weiter darüber nachdenken. Sollten die Männer sich um die Geschäfte kümmern. Das war alles, wozu sie taugten.
Am anderen Ende der Tafel saß Charles, sein Gesicht durch die zahlreichen Cocktails vor dem Essen gerötet, und führte eine hitzige Debatte über die amerikanische Regierung, die Situation in Europa und wie sie sich auf die Geschäfte der Fontaines in Marseille auswirkten. Mit tiefstem Unbehagen stellte Celeste fest, dass seine Aussprache ziemlich undeutlich klang …
Evangeline starrte auf den letzten Schluck Wein in ihrem Glas und bemühte sich, dem Blick ihrer Tante auszuweichen. Sie spürte, dass Tante Celeste sie mit Argusaugen beobachtete. Ahnte sie etwas? Die anonymen Briefe hinterließen eine Giftspur in Evangelines Handtasche. Den ersten hatte sie vor ein paar Tagen bekommen, in einer Schachtel mit Blumen – und heute Morgen steckte sogar ein Zettel in den Falten ihrer Serviette auf ihrem Frühstückstablett, wo ihr Mädchen, Delphy, ihn nicht gesehen haben konnte. Nur ein paar ungelenk hingekritzelte und falsch geschriebene Worte.
»HAB DICH GESEHN DU NIGGERHURE«
Oder: »BIN EUCH AUFN FERSEN«
Jemand hatte ihr nachspioniert.
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