Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
ersten Mal. Er hatte ihr wunderbare, gefährliche Spiele beigebracht, die sie gemeinsam spielen konnten, und obwohl sie wusste, dass sie eine Todsünde begingen, lebte Evangeline nur noch für den nächsten berauschenden Augenblick, den sie zusammen verbringen konnten.
Laurent würde sich um alles kümmern … So sehr sie auch überlegte: Evangeline fiel kein Ausweg ein – außer sie rannten davon. Aber wohin? Und wie? Am heutigen Tag war so viel los, sie wusste noch nicht einmal, ob sie Laurent würde sehen können. Nach dem Mittagessen wurde sie zu Hause erwartet, damit sie sich mit Delphys Hilfe unter den Augen ihrer Mutter umzog, und heute Abend fand die große Mardi-Gras-Parade statt. Dabei erwartete man von ihr und den anderen Debütantinnen, deren Väter derselben Krewe, einer der Karnevalsorganisationen der Stadt, angehörten,dass sie die traditionelle Rolle eines Mädchens aus angesehener Familie spielten und anmutig und dekorativ auf dem Wagen der Krewe thronten. Sie mussten winken und lächeln und Dublonen und Perlen in die Menge werfen. Hinterher, bei ihrem Ball, würde sie ununterbrochen von Menschen umgeben sein. Aber sie musste etwas unternehmen. Bevor ihre Eltern es herausfanden, bevor
irgendwer
es herausfand. Vor allem, bevor Maurice es herausfand. Bevor es
zu spät
war.
Ein Fetzen der Unterhaltung riss sie aus ihren Gedanken. »Was hat Onkel Charles gerade gesagt?«, fragte sie Richard im Flüsterton.
Richard lächelte sie an. »Soweit ich verstanden habe, schickt die Firma Ihrer Familie nächste Woche einen neuen Angestellten in das Büro in Marseille.«
»Schlau wie ein Fuchs, der Junge, hatte die beste Schulbildung bei den Jesuiten. Hat keine wirkliche Zukunft in New Orleans«, sagte Onkel Charles ein wenig zu laut. Alle blickten angestrengt auf ihre Teller.
Richard Fairfax fragte, warum ein so vielversprechender Junge in New Orleans keine Zukunft hatte.
»Ha! Er ist ein Kreole, deshalb, ein
gens de couleur
. Er hat teilweise farbiges Blut in den Adern, Leutnant Fairfax! Aber schlau, wie sein Papa.« Charles Fontaine grinste anzüglich und Tante Celeste schnappte nach Luft. Evangeline fühlte sich, als hätte jemand einen Krug mit Eiswasser über ihr ausgegossen. Frankreich! Nein! Laurent sollte doch erst nach Frankreich gehen, wenn er einundzwanzig war und bis dahin waren es noch zwei Jahre. Und er konnte sie nicht allein lassen, nicht, wenn er es wusste. Heilige Jungfrau, sie musste es ihm
sofort
erzählen.
»Haben Sie in England auch dieses Farbigenproblem?«, fragte Onkel Charles.
Die schwarzen Gesichter der Diener zeigten keine Regung, während sie die Teller abräumten.
Tante Celestes Glas zitterte in ihrer Hand.
Evangeline fühlte sich ganz schwach. Wenn Laurent New Orleans verließ und nach Frankreich fuhr, würde sie ihn nie wiedersehen.Und wenn Laurent sie nicht vor Maurice rettete … wer sollte es dann tun? Mit erschreckender Klarheit erkannte sie, dass es zum ersten Mal in ihrem Leben nicht ausreichte, das zu fordern, was sie wollte. Sie und Laurent waren dem Untergang geweiht. Es spielte überhaupt keine Rolle, dass Onkel Charles Laurent zu den Jesuiten in die Schule geschickt hatte und dass Granmère in ihn vernarrt war und dass sich die Familie um ihn kümmerte. Seine Mutter war eine Quadronin, sie war zu einem Viertel schwarz, und daher war er ein Farbiger. Und kein farbiger Junge wagte es, ein weißes Mädchen auch nur anzusehen, wenn er nicht an einem Ast baumelnd enden wollte. Er konnte sie nicht vor Maurice oder vor irgendjemandem sonst retten. Er konnte noch nicht einmal sich selbst retten, wenn irgendwer es erfuhr. Und ihr war klar, dass sie ihn warnen musste, dass jemand Bescheid wusste … denn dann war es für ihn das Sicherste, sofort nach Frankreich aufzubrechen. Vielleicht konnte sie ihm hinterherreisen? Aber wie? Schließlich konnte sie sich keine Flügel wachsen lassen und davonfliegen. Aber … Richard war Engländer. England war in der Nähe von Frankreich, oder? Aber wo genau? Evangeline spielte mit dem Ring, den Maurice ihr gegeben hatte. Er gefiel ihr nicht, aber ihre Mutter sagte, es sei unhöflich, ihn nicht zu tragen. Die Geografiestunden bei Schwester Bernadette fielen ihr ein und sie versuchte sich daran zu erinnern, wie die Landkarte von Europa aussah.
Alle waren froh über die Ablenkung, als die Esszimmertüren aufschwangen und die Diener mit großem Prunk den traditionellen King Cake, den Königskuchen, hereinbrachten. Gab es in
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