Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
Rollstuhl und als Evangeline ihn ins Besuchszimmer schob, streckte er Hugo die Hand entgegen. Hugo schien fassungslos zu sein.
»Also, alter Junge … tja, weiß gar nicht, was ich sagen soll.« Verlegen plauderten sie eine Viertelstunde lang, dann sah Hugo auf die Uhr, murmelte etwas von der Bürgerwehr und ging. Am nächsten Tag schickte er eine Nachricht, in der stand, dass er und sein Vater mit einer Erkältung im Bett lägen und er im Moment keine Besuche machen könne.
Seinem Besucher zuliebe hatte sich Richard Mühe gegeben, doch das Reden strengte ihn sehr an. Die Einzige, mit der er sprach, war Evangeline. Er war hingerissen, wenn er spürte, wie sich das Baby bewegte. Die Ärzte sagten ihr, es sei ein Glücksfall, dass es in Crowmarsh Priors ein Genesungsheim gebe. Seine Nerven seien noch recht schwach und ein Haus voller lärmender Kinder sei im Moment einfach noch zu viel für ihn, doch mit der Zeit … nun, sie würden sehen.
Wenn Evangeline bei Richard war, kümmerte Elsie sich um die Kinder, doch meist musste Evangeline allein zurechtkommen. Sie hatte mehr denn je zu tun, schließlich musste sie alles für die Geburt ihres eigenen Babys vorbereiten, und ihr stand keine Tanni mehr zur Seite, die ihr dabei helfen konnte. Das Baby sollte in der ersten Januarwoche zur Welt kommen und Evangeline hoffte, dass sie und Richard nach der Geburt noch einmal von vorn anfangen konnten. Irgendwie.
Ehe sie sichs versah, stand Weihnachten vor der Tür und sie musste unbedingt den Winterkohl ernten, wenn sie genug zu essen haben wollten. Sie zog sich eine uralte Hose an, die Tanni in glücklicheren Tagen an den Seiten mit Kordeln versehen hatte, um Platz für Evangelines wachsenden Bauch zu schaffen, und machte sich an die Gartenarbeit. Sie schwang den Spaten und spürte ein warmes Rinnsal, als ihre Fruchtblase platzte.
Am Nachmittag kam Schwester Tucker und schickte Tommy und Maude in aller Eile los, um Alice zu holen. Irgendjemand müsse Richard Bescheid sagen, meinte sie, doch Alice fuhr sie an, dass Elsie das tun sollte.
Zwei Tage lang kämpfte Evangeline verzweifelt gegen die Wehen an. Der Gedanke, dass das Baby möglicherweise mit denGesichtszügen oder der Hautfarbe eines Farbigen geboren wurde, versetzte sie in fürchterliche Angst. Schließlich brachte sie jedoch einen Sohn zur Welt. Still, blass, erschöpft und ängstlich lag sie da, während Schwester Tucker sich emsig an dem kleinen Wesen zu schaffen machte und ihr dann ein fest eingewickeltes Bündel reichte. »Wir sind ein paar Wochen zu früh da, Mummy, aber uns geht’s trotzdem sehr gut«, zwitscherte sie.
Evangeline wagte kaum, einen Blick auf ihren Sohn zu werfen, doch als sie es endlich tat, sah sie blaue Augen und einen braunen Haarschopf. Ein winziges rosa Mündchen gähnte und verzog sich dann zu einem energischen Schreien. Auch Evangeline begann zu weinen – vor Freude und Erleichterung. Sie war sich sicher: Er war nicht Laurents Sohn. »Na, na«, sagte Schwester Tucker, »Sie haben alles überstanden und Ihr Sohn ist wundervoll. Haben Sie sich schon einen Namen für ihn überlegt?«
»Bitte … sagen Sie es Richard?«, murmelte Evangeline. »Und ich würde ihn gern Andrew nennen. Ich habe einen Bruder, der Andre hieß …«
Als Frances zurückkam, wechselten sie sich mit Elsie und sogar Alice an Evangelines Bett ab. Wie alle jungen Mütter musste sie nach der Geburt mindestens zwei Wochen lang liegen. Nell Hawthorne brachte ihr Brühe, schüttelte ihre Kissen auf und bestaunte das Baby, während Edith Barrows sie mit Eiercreme und Gelee verwöhnte, die sie nach dem Rezept ihrer Mutter zubereitet hatte. Schließlich musste Evangeline »wieder zu Kräften kommen«, wie sie sagte. »Sieht so aus, als würden wir das Dorf neu besiedeln, was?«, fügte sie hinzu und strich sich über ihren gewaltigen Bauch.
Während sich Evangeline erholte, ließ Elsie ihre Schwester beim Schrubben, Waschen und Kinderhüten helfen, bis Agnes sich bitterlich darüber beklagte, dass Elsie sich zu einer richtigen Tyrannin entwickelt habe.
Das einzige Thema, über das die vier Frauen nicht sprachen, waren Lili und Klara Joseph, doch die Kirchenruine führte ihnen immer wieder vor Augen, was vermutlich passiert war. Die Reste des Kirchturms waren von Mauerbruchstücken, Glasscherben,zertrümmerten Kirchenbänken und Dachziegeln umgeben. Die Wucht der Explosionen hatte viele Gräber zerstört, sodass auch Grabsteine und Marmorplatten überall
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