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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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stattlichen Vermögen gekommen. »Deimändsaägörlsbestfränd« kläffte er in die Herrenabteilung jenes Nobelkaufhauses, in dem er meinem Großvater plötzlich in die Arme fiel, ihm das Sakko, das der gerade anprobieren wollte, aus der Hand und ihn mit sich in ein benachbartes Lokal riss, in dem man noch »was Gscheits« bekäme, um das Wiedersehen zu feiern. Bis die Kellnerin die Rechnung brachte, ließ er meinen Großvater kein einziges Mal zu Wort kommen, was an sich schon das Erzählen wert wäre, aber es kam noch besser.
    Nach dem Tod seines Schwiegervaters, der zwar nicht der Vater jener Annie, »die Schlamp«, dafür aber ein »Jud, hamsevergessezuvergase« und somit, wie er meinem Großvater über drei schwitzenden Scheiben Fleischkäse ins Gesicht lachte, natürlich »scheißereich« gewesen sei, habe er dessen Juweliergeschäft geerbt. Die Geschäfte seien gut gelaufen. Er und seine Frau »bildschä, netwiedieanniemitihreglubschaache, die Schlamp« hätten gut gelebt. Man hatte ein Häuschen in der Toskana mit einem Gärtchen und einem Mädchen, das sich der Blümchen und manchmal auch seiner annahm, aber!  – und hier begann mein Großvater aufzuhorchen  – aber so richtig habe die Kasse erst vor einem Jahr geklingelt, als sie sich entschieden hatten, in den Osten zu gehen.
    Ursprünglich seien sie nur deshalb rübergefahren, um zu kucken, ob einer aus der Familie des Juds, der »vor der schlimmen Zeit« in Dresden einen Gemischtwarenladen betrieben hatte, wider Erwarten überlebt hatte. Aber irgendwann habe selbst seine Frau eingesehen, dass ihren Verwandten das gleiche Schicksal wie der Mauer widerfahren sei. »Beide gefallen!«, lachte der Juwelier und wischte sich den Fleischsaft vom Kinn.
    Nach ihrer Rückkehr in die Pfalz habe sich dann jedoch überraschend ein Anwalt bei ihnen gemeldet und mitgeteilt, dass der Gemischtwarenladen, wenn auch mittlerweile ein Acht-Parteien-Wohnhaus, noch immer auf den Namen des Bruders eingetragen sei und, in Ermangelung anderer Erben, denn nein, da lägen auch ihm keine anderen Informationen vor, ihnen zustehe.
    Zuerst habe er, der Juwelier, gar nicht gewusst, was sie mit dieser riesigen, völlig verfallenen Immobilie überhaupt anfangen sollten, bis ihm »ein Vögelchen« gezwitschert habe, dass der Aufbau Ost fast die gesamten Renovierungskosten übernehme.
    Das Beste seien jedoch die kaufwütigen Ossis.
    »Er sagt, die haben jede Menge Geld. Aber nichts zu kaufen«, rief mein Großvater, als er Stunden später völlig aufgekratzt nach Hause kam und meiner Großmutter von seiner Idee erzählte, nach Berlin zu ziehen und in ihrem Elternhaus, von dem bestimmt auch noch etwas übrig sei, die erste Schneider-Filiale im Osten zu eröffnen, womit sie ein Vermögen machen würden.
    »Wie? Du hast schon gegessen, ich hab doch gekocht«, nörgelte meine Großmutter, die nach der Erwähnung des Lokals auf Autopilot geschaltet hatte.
    »Jetzt hör doch mal zu, Hilde, es geht hier um unsere Zukunft«, rief mein Großvater. »Das ist eine Chance, die im Leben kein zweites Mal kommt.«
    »Was sollen wir denn in Berlin?«, murmelte meine Großmutter, »da ist doch nix!«
    »Eben!« schrie mein Großvater. »Deshalb müssen wir ja dahin!« Es ginge darum, zuzuschlagen, bevor ihnen jemand die Gelegenheit wegschnappe. Sonst, donnerte er, sonst stünden sie am Ende mit gar nichts da. »Der Bensheim hat sicher auch ne tote Oma drüben. Wenn der spitzkriegt, wie leicht sich da Geld machen lässt, sind wir weg vom Fenster.« Er riss den Arm in die Luft. »Weck.«
    Der Bensheim war der größte Konkurrent meines Großvaters, oder zumindest wurde er es mal in diesem Moment. In der Vergangenheit hatte der Katalog, den mein Großvater sich unter dem Mädchennamen meiner Großmutter nach Hause schicken ließ, ihm nur zu halbjährlichem Spott gereicht. Jetzt sah er den »Erzfeind« im Osten Geld anscheffeln, das der wieder investieren könne, in neue Geschäfte, Werbung, mit der er die strohdumme, beim Anblick eines hübschen Plakats, oder gar, Gott bewahre, einer Fernsehreklame, sowohl Qualität als auch lang gewachsene Loyalität in den Wind schlagende Kundschaft verführen und meine Familie eher früher als später in den Ruin treiben würde. In immer leuchtenderen Farben skizzierte er den drohenden Bankrott auf der einen Seite, den glorreichen Aufstieg auf der anderen. »Die brauchen doch jetzt Leute wie uns«, sagte er, Leute mit Geschäftssinn, die Arbeitsplätze schaffen, gerade

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