Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
Vom Netzwerk:
fasste mir an die Stirn, schüttelte verwirrt den Kopf. Und nahm schließlich doch einen Zug nach dem anderen, bis die Zigarette völlig runtergebrannt war. Sie legte den Kopf in den Nacken und sog den Rauch ein, als seien es ätherische Dämpfe und sie in einem Kurbad. Dann schlug sie sich plötzlich auf die Oberschenkel und sprang auf. Sie wischte sich die Hände an ihrem grün gefärbten Po ab, warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, sagte »wenn wir richtig Stoff geben, sind wir in einer Stunde da« und stapfte los.
    Ich rappelte mich schwerfällig auf, als sei ich die ältere von uns beiden, lief hinter ihr her zum Auto, wo sie schon vor der Fahrertür trippelte. Wie selbstverständlich nahm sie mir den Schlüssel aus der Hand und setzte sich wieder ans Steuer, haute den Rückwärtsgang rein, ließ den Wagen aus der Parklücke schießen und gab Gas.
    Erst als wir am Abend in einen Gasthof gingen und sie in ihrem üblichen Befehlston einen Nichtrauchertisch verlangte, konnte ich nicht mehr an mich halten. »Das ist jetzt ja wohl nicht dein Ernst«, raunte ich ihr zu, während wir einer Kellnerin im Dirndl zu unserem Tisch folgten. Meine Mutter tat, als habe sie nichts gehört. Ob wir auch einen Platz haben könnten, auf dem nicht das ganze Mittagessen hänge, fragte sie stattdessen mit jener Liebenswürdigkeit, die sie für Ironie reserviert hielt. Sie ließ sich auf den Bauernstuhl nieder und ich das Thema wieder fallen. Hier im grellen Licht, das Uffdada der Blaskapelle im Rücken, den zusammengequetschten Busen der Kellnerin, die kleinlaut das Tischtuch abzog, im Gesicht, schien jener Moment auf der Raststätte zu unwirklich, als dass er Worten standgehalten hätte, wie ein Traum, der in sinnlose Bruchstücke verfällt, sobald man versucht, ihn aus der Nacht in den Tag zu retten. Sie öffnete die Karte, bestellte ein Gericht, an dem sie alles änderte bis auf die Soße, mir gleich eins mit und hielt mir vor, dass ich in »meiner« Redaktion jetzt endlich mal »was reißen« müsse. »Glaub mir, du brauchst die Erfahrung«, sagte sie und erklärte mir mit Altkanzlerstimme, wie naiv ich sei, darauf zu warten, von der Muse geküsst zu werden (was ich nicht tat; ich tat einfach gar nichts, aber damit brauchte ich ihr erst recht nicht zu kommen).
    »Ich hab mich umgehört, Journalismus ist der beste Weg in die Schriftstellerei. Wenn du dir erstmal einen Namen gemacht und ein paar Preise gewonnen hast«, die einzige Währung, in der sie Vorankommen messen konnte, »ist es viel leichter, einen Roman zu veröffentlichen, dann braucht’s nur noch ein bisschen Phantasie! Daran sollte es ja bei dir nicht fehlen!« Dann ging sie dazu über, mich über mein Beziehungsleben auszufragen, in dem ich mich jedoch auch nicht viel besser anstellte. Sie war wieder die Mutter, meine Mutter, die alle Antworten wusste. Und ich das Kind, das keine Fragen stellte. Und was hätte ich auch fragen sollen? Warum findest du Rauch so toll? Warum hast du mein ganzes Leben behauptet, dich davor zu ekeln? Wer bist du eigentlich? Ich würde gerne sagen, dass mir dazu der Mut fehlte, aber die Wahrheit ist, dass ich wahrscheinlich gar nicht wirklich auf die Idee kam. So absurd ihr Verhalten war, so viel absurder wäre der Gedanke gewesen, dass da etwas sein sollte, etwas, von dem ich nichts wusste, was in ihr schlummerte und sich zu befreien versuchte. Als Kind ist man es so gewohnt, dass das Leben der Eltern um das eigne kreist, dass man das ihre kaum betrachtet. Anderen Alten, Politikern, Schauspielern, vielleicht sogar noch den Großeltern, mag man eine Vergangenheit zutrauen. Aber bei den eigenen Eltern endet die Vorstellungskraft. Es ist eine Grenze, die auf Naivität gebaut ist, auf Ignoranz und ein bisschen auch auf Angst. Wer will schon riskieren, hinter den streng-strafenden Vorbildgesichtern einen Menschen zu finden, der einem womöglich fremd ist? Eine wirkliche Person, aus Fleisch und Blut, mit Bedürfnissen, die nichts mit mir zu tun hatten, wurde meine Mutter für mich erst kurz vor ihrem Tod. Und selbst da war ich das Ziel, die Pointe, auf die die ganze Geschichte hinauslief.

5. Kapitel
    Wen meine Mutter am meisten hasste, war die Schwäche. Ihr Leben lang war ihr eingeschärft worden, sich von ihr fernzuhalten, wie von einem Sumpf, den man noch nie gesehen, dafür aber so viele Schauergeschichten über die darin Versunkenen gehört hat, dass die Erwähnung des Namens genügt, um einen ängstlich zurückweichen zu lassen. Umso

Weitere Kostenlose Bücher