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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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Land.«
    Tatsächlich waren die Behörden jedoch bereits geübt im Umgang mit Alteigentümern, die sich plötzlich ihrer Wurzeln erinnerten. Überall in der Stadt forderten Familien Besitz zurück, von dem die Hälfte bis dahin noch nicht mal gewusst hatte. Aber außer meinem Großvater kam keiner auf die Idee, dort auch wieder einzuziehen. Dafür war es zu trostlos, vor allem so nah an der Mauer, mit den zugemauerten Fenstern und den leeren Geschäften.
    »In unserem ist wenigstens was drin«, rief er gut gelaunt, »damit sind wir den anderen schon einen Schritt voraus.«
    Der Laden kam unten ins Haus. Darüber ließ er drei Wohnungen in Stand setzen, eine für ihn und meine Großmutter, eine für Helm und Gundl, je mit einem kleinen Balkon, auf den sich niemand setzen wollte, weil einem nach fünf Minuten der Hals kratzte von den Kohleöfen, die damals alle noch hatten. Darunter eine etwas kleinere, die er »aus purer Nächstenliebe« an die bisherigen Bewohner vermietete, ein entzückendes, junges Paar mit einem entzückenden, rauscheengelblonden Sohn, »so deutsch, wie man es bei uns gar nicht mehr find.«
    Das Haus war das erste in der Straße, das saniert wurde, ein persilweißer Streifen Luxus inmitten rußgeschwärzter Wände. Nebenan wohnte eine Gruppe Studenten, die sich sehr intensiv und sehr laut um die Zukunft der Vergangenheit sorgten. In Schubkarren trugen sie allen möglichen Tand zusammen und in die Wohnung hinauf, Straßenschilder, die kommunistische Führer priesen, Plakate irgendwelcher DDR -Aufführungen, gläserweise Ostkost, die sie, bevor sie aus den Regalen des Konsums verschwand, lieber in den eigenen vergammeln lassen wollten.
    »Was, wenn die uns die Kundschaft weghalten?«, rief meine Großmutter, als mein Großvater sie und meine Mutter das erste Mal mitnahm, um die Renovierungsarbeiten zu bestaunen. Wie ein kleiner Junge rannte er von Raum zu Raum und zeigte ihnen die abgezogenen Dielen, den Stuck, die hohen Fenster.
    »Ach herrje, wer soll die denn alle putzen?«, stöhnte meine Großmutter.
    »Kein Problem. Da nehmen wir uns jemanden«, antwortete mein Großvater, »sind ja jetzt alle arbeitslos.«
    »Eine Fremde soll ich für mich putzen lassen?«, jammerte meine Großmutter und tastete schon mal nach dem Inhalator in ihrer Tasche. »Wer weiß, was die alles anfasst? Da wär ich ja doppelt so lang damit beschäftigt, nachher hinterherzuwischen!«
    »Dann hängste halt Vorhänge hin, dann sieht man den Dreck nicht so!«
    »Die müssen doch auch gewaschen werden«, nörgelte sie, bis er endlich »Dunnerkeidel, jetzt stell dich doch nicht so an, Hilde!« schrie. Wochenlang habe er sich abgerackert, um alles auf Vordermann zu bringen, habe Kabel verlegt, Rohre geflickt. Es habe ja nicht mal eine Dusche gegeben, geschweige denn eine elektrische Heizung. »Du hast doch keine Ahnung, wie es hier ausgesehen hat!«
    Eigentlich habe sie das schon, murmelte meine Großmutter, immerhin sei sie hier aufgewachsen.
    »Eben! Ich mach das doch alles nur für dich«, rief er. Er wisse doch, dass sie sich im Süden nie richtig heimisch gefühlt habe. Er habe geglaubt, der Umzug würde sie freuen. »Was glaubst du denn, warum ich mich so ins Zeug gelegt habe, he? Du warst es doch, die immer davon geträumt hat, irgendwann zurück zu gehen!«
    Das hatte sie nicht, aber am Ende fühlte sie sich so undankbar, dass sie tatsächlich eine Kante wiedererkennen wollte, an der sie sich als Sechsjährige gestoßen habe.
    Ansonsten schien meiner Großmutter das Haus seltsam fremd, genauso wie die Stadt selbst. Sie lief mit meiner Mutter durch Berlin, um ihr die alten Plätze zu zeigen, aber jede Straße, durch die sie gingen, war eine Straße, in der niemand mehr wohnte, den sie kannte, jedes Haus, auf das sie zeigte, war nicht mehr da, stattdessen eine dreckige Platte, ein Klumpen Schutt oder einfach ein Loch zwischen zwei vollgekritzelten Wänden.
    »So viel Baufläche«, seufzte mein Großvater, »wer da nicht zugreift, ist doch wirklich selber schuld!«
    Die Eröffnung fand am 9. November statt. Kleiner ging’s nicht. Umgezogen wurde erst ein paar Tage davor.
    Meine Mutter klebte Kisten zu und Schildchen drauf, während meine Großmutter eine nach der anderen wieder aufriss, um eine Steppdecke oder ein Waffeleisen oder ein schickes Nachthemd für meine Mutter rauszuziehen, damit ihr nicht kalt sei im Winter und sie was anzubieten habe, falls jemand zum Kaffee käme und anständig aussehe, falls der über

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