Fünf Tanten und ein Halleluja
schnell.«
Lutzâ Bettgenosse fragte: »Wer ist das denn?«
»Du hast eine Viertelstunde! Beeil dich!«
Dann machte er kehrt, schnappte sich den zweiten Karton und ging damit in sein eigenes Zimmer. Seinen Saustall sah er mit ganz anderen Augen. Warum hatte er nicht früher schon mal aufgeräumt? Dann wäre das jetzt eine Sache von zehn Minuten gewesen. So hatte er jedoch das Gefühl, als müsste er ganze Gesteinsschichten abtragen.
Pornos und Sexspielzeug flogen ebenso in den Pappkarton wie das lesbisch-schwule Stadtmagazin. Bis hierher war es einfach. Toni sah sich um. Was könnte noch schwul wirken? Seine Discokugel? Und die Sneakerklamotten? Sein Seidenschal war natürlich eindeutig. Auch wenn der zu einem schlichten weiÃen Hemd toll aussah und gar nicht mehr so schwul. Egal. Er hatte keine Zeit für so was. Alles, was irgendwie verdächtig war, wurde hineingeworfen. Sonst würde er hier niemals fertig werden.
SchlieÃlich stellte er den vollen Karton in den Flur und ging nochmals in Lutzâ Zimmer. Die beiden Körper lagen regungslos unter der Decke.
»Verdammt, Lutz!«
»Ist das der Typ von eben?«, fragte Lutzâ Bettgenosse.
»Lutz, meine Tanten kommen! Sie werden hier einziehen!«
Lutz rieb sich die Augen. »Wie bitte?«
»Du hast schon verstanden. Wir müssen hier aufräumen. Und dann musst du verschwinden. Also, raus jetzt mit dir!«
Toni holte Staubsauger, Eimer, Schrubber und eine ganze Batterie von Putzmitteln aus der Kammer und baute alles vor seiner Zimmertür auf.
Dann atmete er tief durch.
Die U-Bahn fuhr ratternd ein. Die Schwestern standen mitten im Gewühl und stützten ihren Kofferturm.
»Ist das unsere Bahn, Ebba?«
»Ja! Bleibt zusammen!« Ebba verteilte das Gepäck. »Hört ihr? Alle zusammenbleiben!«
Dann übernahm sie wie immer die Führung. Mit Koffern links und Koffern rechts war es für die Schwestern ein Leichtes, sich Respekt zu verschaffen. Ebba sicherte ihnen eine Sitzgruppe, grenzte das Territorium mit Koffern und Taschen ab und wies allen einen Platz zu.
»Zurückbleiben bitte!«, erklang es von drauÃen.
Die Türen schlossen sich, und die Bahn fuhr los. Es ruckelte und schunkelte, doch sie saÃen mit ihrem Gepäck bombenfest in den Sitzen.
»Hast du die Sachen für Toni, Immi?«, fragte Ebba.
Immi klopfte zufrieden auf ihre Handtasche.
»Alles dabei.«
»Darf ich sie mir mal ansehen?«, fragte Claire. »Ich hatte schlieÃlich noch nicht das Vergnügen.«
»Ach ja. Na, dann pass mal auf.« Sie öffnete ihre Handtasche mit einem geheimnisvollen Lächeln, ganz so, als würde es sich um eine eben entdeckte Schatztruhe handeln. »Das wird Toni den Atem verschlagen, sag ich dir. Er kann sich nämlich bestimmt gar nicht mehr erinnern, wie das früher war, als er noch ein kleines Kind war.«
»Glaub mir, Claire, wenn er das alles sieht, wird er dahinflieÃen vor Rührung«, fügte Kamilla hinzu. »Selbst ich musste ein paar Tränen verdrücken, als Immi mir die Sachen gezeigt hat.«
Claire lugte neugierig hinein. Da war er also, der Blick in die Vergangenheit. Immi hatte eine erstaunliche Sammlung von Dokumenten zusammengetragen, allesamt aus der Zeit, als Toni noch ein kleiner Junge gewesen war und es in seiner Familie keinerlei Probleme gegeben hatte. Zumindest nicht nach auÃen.
Immi begann, die Dokumente nacheinander hervorzuziehen.
»Dieses Video hier zeigt Toni zusammen mit Curt. Unser Bruder hatte ja damals schon eine Videokamera, als die gerade auf den Markt gekommen sind. Der Film wurde am Nordseestrand gemacht, im Urlaub, da war Toni drei Jahre alt.«
»Da weicht er seinem Vater nicht von der Stelle«, hauchte Kamilla sentimental. »Das musst du dir ansehen, Claire. Sie spielen Flugzeug, gehen durchs Watt, Toni auf Curts Schultern im Meer, an seinem Arm in der Brandung â es ist die reinste Wonne.«
»WeiÃt du noch, wie sie zusammen Muscheln suchen?«, fragte Immi. »Vater und Sohn, wie in einem Bilderbuch.«
»Und die Fotos?«, fragte Claire.
»Die sind hier.« Immi kramte eine Fototasche hervor. »Das sind Familienfotos von Weihnachtsfeiern, von Kindergeburtstagen, alles Mögliche. So wie es früher bei Toni und seinen Eltern eben war.«
Claire blickte sie flüchtig durch. Tatsächlich: eine Bilderbuchfamilie. Und immer
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