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Fünf Tanten und ein Halleluja

Fünf Tanten und ein Halleluja

Titel: Fünf Tanten und ein Halleluja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Steiner
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zitterten. War er überhaupt zu Hause? Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Er klopfte.
    Drinnen Geräusche. Husten, dann schlurfende Schritte. Tonis Herz raste. Jetzt ging die Tür auf, und er stand vor ihm.
    Ein fetter alter Mann mit gebeugtem Rücken, im Unterhemd, mit bläulich weißer Haut und Haarbüscheln auf den Schultern. Das Gesicht ungesund rot und mit den Zügen einer Kröte, ein schmutziger Zigarettenstummel im Mundwinkel, gelbe Zähne, eine Alkoholfahne. Und kalte Augen. Kalte, böse, abweisende Knopfaugen.
    Â»Was willst du, Bürschchen?«, krächzte er und hustete.
    Der erste Eindruck zählt, heißt es ja. Doch Toni wollte sich davon nicht beeindrucken lassen.
    Â»Was du hier willst, verdammt noch mal!«
    Komm schon, Toni. Improvisationstheater.
    Â»Entschuldigen Sie die Störung. Ich komme vom Quartiersmanagement. Wir führen bei den Bewohnern dieses Viertels eine Befragung durch.«
    Er betrachtete Toni angewidert.
    Â»Ich hab keine Zeit für solchen Schwachsinn.«
    Trotzdem blieb er in der offenen Tür stehen. Und Toni wusste auch, weshalb. Er sah es an seinem Gesicht, und er konnte es in der Wohnung riechen: Einsamkeit.
    Toni machte also weiter. »Es geht um die Wohnqualität und um die Angebote, die das Quartiersmanagement für …«
    Â»Zur Wohnqualität kann ich dir was sagen«, grunzte der Alte. »Seit hier alles voll von stinkenden und Wodka saufenden Russen ist, kannst du dir die Wohnqualität in den Arsch schieben. Diese Scheißausländer sind schuld daran, die richten hier alles zugrunde. Aber das wollt ihr ja nicht hören, ihr verweichlichten Sozialfuzzis. Wenn du mich fragst, Bürschchen, sollte man die alle an die Wand stellen, die Scheißrussen. Und dann können wir wieder über Wohnqualität reden.«
    Wie hässlich er war. Seine Augen traten hervor, wenn er sprach, sie waren giftig und voller Hass. Toni wusste nicht, was er sagen sollte. Da war nur noch seine Rolle, die ihn aufrecht hielt.
    Â»Aber wurden Sie schon auf die Angebote aufmerksam gemacht, die das Quartiersmanagement …«
    Â»Angebote!«, spuckte er aus. »Eure Scheißangebote könnt ihr euch genauso in den Arsch schieben. Was hier fehlt, ist eine ordentliche Kneipe. Wo man seinen Sprit bezahlen kann. Und vor allem eine, wo keine Russen sind. Dann wäre schon einiges gewonnen.«
    Â»Geplant ist eine Begegnungsstätte für ältere Menschen, wo Sie …«
    Â»Ach, leck mich am Arsch mit deiner Scheiße. Verpiss dich einfach, du elende Schwuchtel.«
    Er sah Tonis Bestürzung. Ein triumphierendes Gelächter, das schließlich in einem Hustenanfall unterging.
    Â»Glaubst du, man sieht es dir nicht an? Dass du ein warmer Bruder bist? Ha, einen Kilometer gegen den Wind. Euch sollte man gleich mit an die Wand stellen, wenn du mich fragst.«
    Toni spürte nichts. Er war ganz ruhig. Als würde er schweben. Weit über allem. Über seinem Leben.
    Der böse Mann hatte sich offenbar eine andere Reaktion erhofft. Er spuckte aus, murmelte: »Blöder Spinner«, und schlug ihm die Tür vor der Nase zu.
    Toni blieb allein zurück. Es wurde still. Er sah zum Fenster, ganz am Ende des Flurs. Draußen waren jetzt Schäfchenwolken. Reine, erhabene Wolken.
    Der Weg zurück in die Stadt dauerte ein halbes Leben. Toni ließ die Stadtlandschaften an sich vorbeiziehen. Er fuhr bis zum Alexanderplatz. Hier musste er aussteigen.
    Er stand noch immer neben sich, als er auf den belebten, sonnigen Platz taumelte. Neben der Weltzeituhr posierte ein Schauspielschüler auf einem Podest in der Rolle der silbernen Statue. Toni lächelte. Das erinnerte ihn an seine eigene Ausbildung. Der Typ war als Statue extrem überzeugend, da hatte er schon andere gesehen. Er zog ein Zwei-Euro-Stück heraus und warf es in den Hut. Die mechanische Verbeugung, die folgte, war die einer Marionette. Da war nichts Menschliches zu erkennen. »Du bist gut«, sagte er. »Ganz große Klasse.« Doch wie es sich für eine Statue gehört, gab sie nicht einmal ein Blinzeln zurück.
    Toni sehnte sich ganz furchtbar nach Micha. Aber er wagte nicht, sich bei ihm zu melden. Wollte der ihn überhaupt sehen? Was, wenn er ihm weitere Vorwürfe machte? Toni würde das nicht ertragen können, nicht heute.
    Er ging weiter und setzte sich an den Brunnen. Wasser plätscherte, da waren

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