Fünf Tanten und ein Halleluja
Infusionsbeutel tropfte. Sie war sehr blass und doch wunderschön. Als sie ihn sah, lächelte sie schwach. »Toni.«
Er hockte sich ans Bett. »Tante Claire, was machst du denn nur für Sachen?«
»Ich hatte schon Angst, ich sehe dich nicht mehr«, sagte sie.
Er fühlte sich plötzlich schuldig. Wie hatte er sie überhaupt wegstoÃen können? Nach allem, was sie gemeinsam erlebt hatten?
»Doch, natürlich bin ich da. Ich â¦Â« Er stockte.
»Habt ihr euch wieder vertragen?«, fragte Tante Claire.
»Na, so in etwa. Glaub ich zumindest.«
Sie lächelte. »Du musst heute nichts entscheiden. Lass nur die Tür offen, das ist alles, worum ich dich bitte.«
Nun wurden die Schuldgefühle übergroÃ. Er nahm ihre Hand.
»Tante Claire, es tut mir so leid. Ich wollte nicht â¦Â«
»Nein, nein, nein. Entschuldige dich nicht. Du hast guten Grund, wütend auf uns zu sein. Aber du sollst nur eines wissen: Was wir getan haben, haben wir nur getan, weil wir glaubten, es wäre das Beste für dich.«
Sie hustete schwach. Das Atmen schien ihr Mühe zu bereiten.
»Gehtâs dir nicht gut, Tante Claire? Soll ich die Schwester rufen?«
»Nein.« Sie klammerte sich an seine Hand. »Glaubst du mir das, Toni? Dass wir nur dein Bestes wollten?«
»Ja, natürlich.«
Sie wirkte erleichtert. Toni lächelte sie an. Jetzt war es wieder wie früher. Nur er und Tante Claire.
»Wer ist überhaupt der junge Mann da drauÃen?«
Ein Leuchten in ihren Augen. »Rainer.«
»Aha. Rainer also?«
»Darf eine alte Frau nicht auch ihre Geheimnisse haben? Du wirst ihn mögen«, sagte sie.
»Davon bin ich überzeugt.«
Tante Claires Lächeln fror ein. Sie schien plötzlich keine Luft mehr zu bekommen.
»Tante Claire? Tante Claire!«
Sie reagierte nicht.
Toni sprang auf, drückte wie wild den Notfallknopf, dann riss er die Tür auf und schrie nach der Schwester.
Menschen in weiÃen Kitteln liefen herbei, Ãrzte wurden gerufen, überall herrschte Hektik, Claire wurde an Gerätschaften angeschlossen, schlieÃlich weggefahren. Fliegende Kittel im Aufzug, dann war sie fort.
Tante Ebba trat vor und packte die letzte verbliebene Krankenschwester.
»Was ist denn passiert? Was ist mit ihr?«
»Das können wir nicht sagen. Wie es aussieht, hat Ihre Schwester ein akutes Lungenversagen. Wir bringen sie auf die Intensivstation. Mehr kann ich jetzt nicht sagen. Sie müssen warten.«
Tante Claire fiel ins Koma. Sie schwebte zwischen Leben und Tod. Keiner konnte sagen, ob sie es schaffen würde. Ihnen blieb nichts übrig, als in den Aufenthaltsraum zu gehen und zu warten.
Endlose Stunden vergingen. Toni war irgendwann losgegangen, um heiÃe Getränke zu besorgen. Getränke, die nicht aus diesen furchtbaren Automaten im Warteraum stammten. Die Kantine hatte zwar schon geschlossen, aber mithilfe eines Flirts mit einem Pflegeschüler war es ihm gelungen, hineinzukommen und für alle frischen Kaffee zu kochen. Er kehrte mit einer groÃen Kanne Kaffee zurück und einem heiÃen Kakao für Tante Immi, die nicht so viel Koffein vertrug.
»Du bist ein Engel, Toni«, sagte Tante Immi und wäre fast in Tränen ausgebrochen. Auch Tante Ebba nahm ihre Tasse dankbar entgegen. Sie strich Toni mit ihrer rauen, schwieligen Hand über die Wange. »Danke, min Jung.«
Rainer saà etwas abseits und sah aus, als würde er meditieren. Toni näherte sich vorsichtig.
»Möchten Sie auch eine Tasse Kaffee? Der ist ganz frisch.«
Rainer blickte auf und lächelte.
»Du kannst mich ruhig duzen. Ich nehme gerne einen.«
Toni goss ihm eine Tasse ein.
»Bist du ein Freund von Tante Claire?«
»Was denkst du?«
»Ich weià nicht. Tante Claire sagt, eine Frau hat ihre Geheimnisse.«
»Damit hat sie dann wohl recht.«
Er nahm die Tasse entgegen. Toni setzte sich zu ihm.
»Du bist Schauspieler, habe ich gehört?«
Toni verzog das Gesicht. »Ich weià gar nicht, ob ich mich noch so nennen darf. Ich hab seit Ewigkeiten kein Engagement mehr gehabt, das diesen Namen verdient.«
»Aber du warst auf der Ernst-Busch-Schule?«
»Ja, schon.«
»Aber dann gehörst du zu den besten Schauspielern, die dein Jahrgang hervorgebracht hat.«
»Das hilft mir im Moment auch nicht weiter. Im Moment versau ich jedes Casting. Gerade
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