Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen
hochgeht …
Die ersten Jäger waren im Sturzflug direkt aus der Sonne nach unten geschossen, von Südwesten her, so rasch und plötzlich, als hätten sie ihren Schall überrundet.
Es war eine mehr zufällige und vergleichsweise bescheidene Ouvertüre des Grauens.
Die Tiefflieger hatten die dreihundert Meter querab liegende ›Thillbeck‹ angegriffen und schossen, bevor die Piloten ihre Maschinen wieder hochrissen, gleich auf die ›Cap Arcona‹ los, um sie auf Gegenwehr abzutasten.
Der Pilot der vorderen ›Mosquito‹ sah eine Gruppe von Menschen an Oberdeck, lenkte die Schnauze seines Vogels genau in ihre Mitte, schrie in sein Kehlkopfmikrophon: »Ich greife an«, hatte die Soldaten unten im Ziel, merkte noch, daß zwei Rottenkameraden ihm mechanisch folgten, und schlug mit der Hand auf den Abzugsballen seiner Zwei-Zentimeter-Kanone.
Der Tod flog auf sein Ziel zu; man konnte ihn leuchten sehen, und er nietete quer über das Oberdeck seine blutige Spur.
Während der SS-Untersturmführer, das Milchgesicht, von dem Geschoß an der Schulter getroffen wird und als leuchtende Fackel seinen Sturmbannführer vor die Füße kollert, während dem Rottenführer neben dem auf den Deckplatten flach liegenden Hauptsturmführer Krappmann der Kopf weggerissen wird, während die angetretenen Marinesoldaten in wilden Sätzen auseinanderpreschen, während die SS-Bewacher der drei Todeskandidaten, vom Entsetzen gebannt, ein, zwei Sekunden verstreichen lassen, handelt Kaleu Straff, der nichts mehr zu verlieren hat, ohne Zögern.
Er springt den Totenkopfmann mit dem Kopf an und schleudert ihn über die Reling. Der Mann überschlägt sich mit einem Schrei, die MP fällt ihm aus der Hand. Sein Kamerad will sie abdrücken und fällt, Überraschung im geronnenen Gesicht, nach hinten, rechtzeitig von der Pistole des Funkmaats Möhrenkopf erfaßt, der dann Straff eine Waffe zuwirft.
In diesem Moment kommen die Tiefflieger zum zweitenmal.
Langenfritz hat die Exekution vergessen und will nach unten. Er prallt mit den Häftlingen zusammen, die nach oben drängen. Er brüllt, aber seine Worte gehen im Gefechtslärm unter.
Die Bucht von Neustadt ist ein einziges Inferno. Der Himmel ist nicht mehr blau, sondern grauschwarz, und die salzige Luft ist von Pulver gebeizt. Die ›Thillbeck‹ kippt brennend zur Seite. Hunderte von Menschen, Bewacher und Bewachte, treiben im Wasser, kämpfen gegeneinander um ein Floß, um eine Schwimmweste. Sie brüllen, bis sich ihre Lungen mit Wasser füllen.
Mitten im Gefecht nimmt die ›Athen‹ Kurs Hafen und schießt mit äußerster Kraft auf die Kaimauer zu. Besatzung und Häftlinge haben in spontaner Aktion die SS-Bewacher überrumpelt und niedergeschlagen oder über Bord geworfen. Als ob die Engländer diese mutige Selbsthilfe belohnen wollten, verschonen die angreifenden Flugzeuge das Schiff. So springen 1.500 Menschen in letzter Minute dem Tod von der Schippe.
Auf der ›Cap Arcona‹ kommt diesmal der Tod vom Achterschiff. Das Oberdeck wird zum Massengrab.
Während des Angriffs ziehen sich Christian Straff, sein Funkmaat und der Häftling Gladon Richtung Funkdeck zurück.
Georg Fährbach richtet sich auf und sieht mit wirrem, wildem Blick um sich. Er sieht keine rollenden Köpfe, er sieht keine zerfetzten Därme, keine zuckenden Körper, er sieht den Mann, der ihn hängen sollte und der jetzt tot ist. Der im Sturz sich noch den Strick selbst um den Hals legte. Und er lacht, tief von unten herauf, wahnsinnig, befreit.
Und dann sieht er, noch immer blick- und gefühllos gegen die krepierenden Geschosse und die wütenden Angriffe der Jabos, die jetzt den Bomberpulk herbeirufen – sieht den Hauptsturmführer Krappmann, das Schwein.
Den Mörder.
Den Sadisten, der ihn zum Mörder machen wollte. Den Spezialisten für Abspritzen, für Erschießungen auf der Flucht, für zertrümmerte Schädeldecken.
»Los«, will ihn Christian weiterziehen. Aber in diesem Augenblick sieht Fährbach nur noch Krappmann, der ihn erkennt und sich duckt. Er spürt die Tritte mit den Stiefeln und die Schläge brennen wieder auf seiner Haut.
Der wie eine Stichflamme aufschießende Hass läßt ihn Marion vergessen und Jürgen, Christian und seine Kameraden.
Fährbach geht auf den Mann mit den rotgeränderten Augen los, der ausgemergelte Häftling auf den sich duckenden Herrenmenschen, wirft sich auf ihn. Seine Hände schnappen vor wie Zangen, fassen Krappmann am Hals und würgen, würgen, während links und rechts
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