Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen
Sturmbannführer. Löffle die Suppe aus … Ich würde die kleine Krabbe nehmen, mit den schwarzen Haaren, dieses Biest mit der verrutschten Schwesternhaube und den blitzenden Augen … Junge, Junge, die hat Temperament, die hat Pfeffer im Blut …
Langenfritz liest die Schadenfreude aus den Gesichtern seiner Leute und ärgert sich, daß er über Jutta eine Erklärung abgab. »Was willst du?« fährt er das Mädchen an.
»Du wirst ihm nichts tun«, sagt Jutta drängend. Ihre hellen Augen glänzen wie im Fieber. Ihre Haare umfluten dunkel und wild den zierlichen Kopf.
»Christian«, sagt Jutta leise und geht auf den Funkoffizier zu.
Ihre Augen begegnen sich.
Straff preßt die Kiefer aufeinander. Als er beim Einsteigen in die Barkasse gefaßt wurde, rettete er sich nach Soldatenart in den Fatalismus und schaltete einfach ab … Und jetzt macht es ihm Jutta so schwer … Jutta, das Mädchen, das er liebt … und die Tochter seines Henkers … Verdammt schwer, denkt er verschwommen, noch einmal sehen zu müssen, was das Leben für mich bereit gehabt hätte.
Er sieht sie an, als nähme er Abschied. Ihr Gesicht schwimmt in seinen Augen. Er betrachtet ihre Stirn, ihren Mund, ihren Hals, prägt sich noch einmal jede Einzelheit Juttas ein, Hände, Lippen, Augen, Stirn, Nase, spürt ihre Zärtlichkeit noch einmal voll, bevor er sie verlieren muß.
»Das ist eine Schweinerei«, brüllt Sturmbannführer Langenfritz. »Das ist vielleicht eine Schweinerei.« Er faßt Jutta brutal am Arm, reißt sie herum.
»Jutta«, sagt Christian Straff und schluckt. Er kommt nicht weiter. Er sieht in die kalten stechenden Augen des Sturmbannführers, der wütend zu seiner Tochter sagt: »Also so ist das …« Er quetscht die Worte zwischen den Zähnen. »Mit so einem Schwein läßt du dich ein … mit so einem Lumpen … mit einem solchen Defaitisten.«
»Mit einem solchen Schwein, mit einem solchen Lumpen, mit einem solchen Defaitisten«, wiederholt Jutta aggressiv. Sie spuckt die Worte aus wie Sand. »Aber ich will dir etwas sagen …«, sie spricht laut und deutlich, »er hat saubere Hände. Er hat niemanden geschlagen, zertrampelt, ermordet … Er ist ein Mensch und kein …« Jutta atmet schwer. »Begreifst du es noch nicht?« sagt sie, ihre Stimme klingt beschwörend. »Deine Zeit ist abgelaufen … aus … vorbei.«
»Meinst du?« fragt Sturmbannführer Langenfritz höhnisch. Jetzt ist er wieder der Alte: zynisch, arrogant, gefährlich. Der Mann, der kurzen Prozeß macht, der weiß, wie man Widerstand bricht und Widerrede zertritt. »Dann ist es ja ganz gut, daß du hier bist. Untersturmführer«, winkt er dem Milchgesicht zu, »stellen Sie sich neben sie, stopfen sie ihr den Mund, wenn sie sich nicht benehmen kann. Herrschaften«, wendet er sich an die anderen, »die Sitzung des Standgerichts ist eröffnet.« Er zündet sich eine Zigarette an und steckt mit blasiertem Gesicht die Hände in die Taschen. Er wendet sich wieder dem Milchgesicht zu. »Sie haben drei Urlaubsscheine in Empfang genommen?«
»Jawohl, Sturmbannführer.«
»Von mir ausgestellt?«
»Jawohl, Sturmbannführer.«
Langenfritz fixiert den Funkoffizier. »Sie haben sich also gestern die Marschpapiere vorsätzlich erschlichen, um zwei Häftlingen von Bord zu helfen. Geben Sie das zu?«
»Ja«, versetzt Christian Straff kalt.
Der Sturmbannführer nickt. »Es hätte auch keinen Sinn, es zu leugnen«, erwidert er. »Was steht darauf?« fragt er den Hauptsturmführer Dreiling.
»Der Tod.«
»In Ordnung«, versetzt der SD-Führer im Plauderton. »Das Urteil ist rechtskräftig und wird sofort vollsteckt. Als Vorsitzender des Standgerichts erkläre ich die Tat für besonders ehrenrührig … und ordne an, daß sie genauso ehrenrührig vollsteckt wird.« Leise, ohne Betonung sagt er: »Tod durch Erhängen. Alle drei.« Er macht eine Pause.
Die Totenkopfleute nicken. Die Delinquenten stehen da wie Tote auf Urlaub.
»Los«, fährt Langenfritz einen Rottenführer an, »besorgen Sie ein Seil«, er sieht sich um, »da oben am Sonnendeck, lassen wir sie baumeln.«
Straff sieht sehnsüchtig zum Ufer hin. Jetzt müßte die britische Panzerspitze auftauchen. Gleich wird die weiße Fahne im Hafen gehißt. Für die Bevölkerung kommt der Friede, für ihn der Tod.
»Noch etwas«, ruft der SD-Führer. »Zur Wiederherstellung der Disziplin ordne ich an, daß alle wachfreien Marinesoldaten Zeugen der Hinrichtung werden …« Er lächelt kalt. »Auch der
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