Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen
Kapitän und seine Offiziere«, sagt er, »dalli, dalli.«
Benommen, betäubt, hatte Jutta die Farce vom Standgericht verfolgt, unfähig, sie zu begreifen. Jetzt sieht sie Totenkopfleute mit Stricken kommen, sieht, wie Christian und die anderen beiden weggeführt werden, hört Pfiffe, Kommandos, sieht die ersten Marinesoldaten, die an Oberdeck zusammengetrieben werden. Jetzt versteht sie, daß die Hinrichtung kein Bluff ist, kein Theater, kein Alptraum.
Sie reißt sich von dem Milchgesicht los, geht auf den gleichgültig die Vorbereitungen verfolgenden Sturmbannführer zu und ruft mit schriller Stimme: »Du Mörder … Mörder!«
»Führt sie ab«, sagt der hagere Mann mit dem blassen Gesicht. Genauso teilnahmslos beobachtet er, wie zwei SS-Männer seine Tochter losreißen und wegschleppen, wie sie wild um sich schlägt und gellend schreit: »Das dürft ihr nicht, das ist Mord!«
Einmal macht sie sich frei, will zurück, aber die Bewacher holen sie ein, zerren sie weiter.
»Christian«, ruft sie.
Eine quallige Hand legt sich über ihren Mund. Sie schnappt mit den Zähnen zu.
»Christian«, kommt es gefiltert, gedämpft, »Christian!«
»Los, Beeilung, Herrschaften«, ruft Hauptsturmführer Krappmann den Marinesoldaten zu. »Wie viele fehlen denn noch?« fragt er einen alten Maat.
»Achtzehn Mann.«
»Scheißkerle … das nächstemal schicke ich ihnen 'ne gedruckte Einladung … Wo ist Bertram, der Kapitän?«
»Er hat keine Zeit«, erwidert der Maat mürrisch.
Sturmbannführer Langenfritz sieht auf die Uhr. »Untersturmführer«, sagt er zu dem Milchgesicht, »gehen Sie zu Bertram und bestellen Sie ihm … daß er neben diesen Schweinen hier hängen wird, wenn er nicht in zwei Minuten zur Stelle ist.«
»Jawohl, Sturmbannführer«, ruft das Milchgesicht laut und wendet sich mit zackiger Kehrtwendung ab.
In diesem Augenblick heulen im Hafen die Sirenen, mit gellendem, aufschwellendem Ton. Hauptsturmführer Krappmann sieht nach oben und rümpft die Nase. Im Hafen schießen Zweizentimeterflak und Maschinengewehre.
Vorn, hinten, links und rechts tauchen die Jabos auf. Bevor man die schweren Bomberverbände sieht, hört man schon das dumpfe Gedröhn.
»Wenn die uns bloß nicht zur Minna machen«, sagt Krappmann zum Sturmbannführer.
»Quatsch«, erwidert Langenfritz. »Die greifen doch kein Häftlingsschiff an.«
»Wenn sie's wissen«, versetzt Krappmann nicht ohne Logik.
»Die wissen doch alles«, entgegnet der SD-Mann aufgebracht. »Es sind doch genug Verräter unter uns, Feiglinge und Defaitisten.« Er vergißt, daß auch sein Koffer schon gepackt ist und er sich vor Monaten falsche Papiere, Geld und einen Unterschlupf besorgte.
»Eins, zwei, drei, vier, fünf …«, zählen die Marinesoldaten ab. Sie haben betroffene, erschrockene Gesichter.
Straff betrachtet sie und stellt müde fest, daß von ihnen keine Hilfe zu erwarten ist.
Das Dröhnen am Himmel wird stärker. Langenfritz folgt Straffs Blick. »Bilden Sie sich keine Schwachheiten ein, Sie Lump«, sagt er lächelnd. Er verfolgt, wie sich drei, vier Jabos jetzt auf das Nachbarschiff, die ›Thillbeck‹, stürzen, aus allen Rohren feuernd und Bomben werfend. Er zieht unruhig an seiner Zigarette und brüllt: »Macht schnell, ihr Idioten.« Er sagt zu dem Rottenführer mit der MP: »Sollten diese Scheißflugzeuge uns angreifen … dann schießen Sie sofort diese drei Lumpen nieder, verstanden?«
»Jawohl, Sturmbannführer.«
Sie kommen plötzlich.
Fast gleichzeitig mit dem Alarm.
Die Jabos überfliegen die ›Cap Arcona‹ so niedrig, daß man den Luftdruck der Schwingen spürt. Sie spucken aus allen Rohren goldene Knöpfe mitten unter die Männer an Oberdeck.
Krappmann reißt den Sturmbannführer mit zu Boden. »Auseinander«, ruft er. Es hört sich an wie Stöhnen.
»Volle Deckung«, brüllt hinter ihm Funkmaat Möhrenkopf. Und lacht mit verzerrtem Gesicht …
Vor dem Angriff sind fast alle Häftlinge unter Deck. Der Zählappell hält fest, daß an diesem Tag 4.207 Gefangene an Bord sind. Sie sind hohlwangig, stumpf in den Unterdecks zusammengepfercht wie Schlachtvieh. Sie sind zu matt, um die Spannung zu spüren. Der Hunger hat die meisten von ihnen stumpf, willenlos, apathisch gemacht. Sie kennen nur noch einen Gedanken: essen. Sie kämpfen lieber um ein Stück Brot als um die Freiheit …
Sie können nicht sehen, was oben in der Bucht geschieht. Selbst die Geräusche sind gedämpft. Die ausgemergelten Sklaven geben es auf,
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