Fünf
abheben. Nur um sicherzugehen, holte sie das Telefon hervor, kontrollierte die Anzeige auf dem Display und seufzte schwer. Der Anruf kam aus der Schule.
«Er hat den gesamten Inhalt seines Milchpäckchens in die Topfblumen geschüttet. Das geht nicht, verstehen Sie? Die Pflanzen gehören der ganzen Klasse, wenn sie eingehen, müssen Sie sie ersetzen.»
«Selbstverständlich. Geben Sie mir doch Bescheid, falls es notwendig sein sollte.»
«Er ist wirklich kein einfaches Kind.» Die Lehrerin am anderen Ende der Leitung seufzte. «Reden Sie bitte auch noch einmal mit ihm. Er muss endlich lernen, dass es Regeln gibt, die für alle gelten.»
«Natürlich. Hat er gesagt, warum er es gemacht hat?»
Schnauben. «Ja, er meinte, Wasser sei zu dünn und er wollte, dass die Blumen auch einmal etwas Ordentliches zu trinken bekämen.»
Jakob, mein Schatz, mein süßer, kleiner Jakob.
«Verstehe. Dann war es immerhin nicht böse gemeint.»
«Vermutlich nicht. Aber er ist sieben, um Himmels willen. Irgendwann muss er lernen, das zu tun, was man ihm sagt, und das zu lassen, was man ihm verbietet.»
Beatrice unterdrückte das Bedürfnis, die Frau anzubrüllen.
«Ich habe verstanden. Ich spreche mit ihm.»
«Danke. Wollen wir hoffen, dass es etwas nützt.» Sie legte auf. Mit einem Gefühl allumfassenden Elends verstaute Beatrice ihr Handy wieder in der Tasche.
Weil Florin darauf bestand, fuhren sie nicht direkt zurück ins Büro, sondern machten halt im Ginzkeys. «Gemüsecurry hilft, die innere Ausgeglichenheit zurückzuerlangen», dozierte er und orderte zwei Portionen, obwohl Beatrice mittlerweile das Gefühl hatte, ihr Magen sei zugenäht. Erst als der Teller duftend vor ihr stand und sie den ersten Bissen in den Mund schob, meldete ihr Hunger sich brüllend zu Wort. Sie verschlang ihr gesamtes Curry und bestellte sich anschließend noch Kuchen und heiße Schokolade.
«Zuckertherapie», erklärte sie. «Erzeugt vorübergehende Glücksgefühle. Spätestens, wenn mir kotzübel ist, habe ich den ganzen anderen Mist vergessen.» Sie war dankbar, dass Florin grinste.
«Verdirbt es dir den Appetit, wenn wir über den Fall sprechen?», erkundigte er sich.
«Keine Spur. Wenn wir gleich im Büro sind, gehen wir die Vermisstenanzeigen durch. Solange wir nicht wissen, wer die Frau war, können wir nur ins Blaue ermitteln.»
«Nicht ganz. Dank deiner Entdeckung.»
«Denkst du, dass die Koordinaten etwas mit ihrem Tod zu tun haben? Die Tätowierung könnte alt sein. Wir sollten erst den Bericht der Gerichtsmedizin abwarten.»
«Sicher.» Er trank seinen Espresso in einem Zug aus. «Trotzdem werde ich die Zahlen mal in mein Navi eingeben. Man sollte keine Chance auf einen Geistesblitz vorbeiziehen lassen.»
Draußen hatte sich der Himmel bewölkt. Sie beeilten sich zurück ins Büro, wo sie eine Nachricht von Hoffmann erwartete, der über den neuen Fall informiert werden wollte. Florin machte sich auf die Suche nach dem Chef. Beatrice schaltete den Computer ein und rief die Seite mit den Vermisstenmeldungen auf.
Eine Fünfundfünfzigjährige mit kurzem grauem Haar, die aus der Landespsychiatrie verschwunden war. Nein. Eine arbeitslose Zweiundzwanzigjährige, die mit Selbstmord gedroht hatte. Ebenfalls nein.
Der dritte Eintrag versetzte ihr den kleinen, wohlbekannten Ruck, wie ein Einrasten, ein Ausschlagen ihrer inneren Wünschelrute:
Frau, neununddreißig Jahre alt, blond, grüne Augen, etwa ein Meter siebzig groß, schlank. Dunkelbraunes Muttermal über dem rechten Mundwinkel. Besondere Merkmale: keine.
Also auch keine Tätowierungen.
Name: Nora Papenberg
Wohnort: Salzburg, Nesselthalerstraße.
Vermisst gemeldet war die Frau seit vier Tagen, der Ehemann hatte die Anzeige aufgegeben. Dem Foto widmete Beatrice ihre Aufmerksamkeit erst ganz zum Schluss. Es war ein Schnappschuss und als Fahndungsfoto ungeeignet, denn die Nora Papenberg auf dem Bild lachte aus vollem Hals. Ihre Augen waren halb geschlossen, in der rechten Hand hielt sie ein Sektglas.
Mund offen, Augen zu. Genau wie auf der Wiese und doch so völlig anders.
Beatrices Verstand notierte die Übereinstimmungen: das runde Kinn, die Stupsnase und das Muttermal am Mundwinkel. Ihre Leiche hatte einen Namen.
Sie präsentierte ihn Florin, kaum dass der von seinem Gespräch mit Hoffmann zurückgekommen war. «Nora Papenberg. Ich habe schon gegoogelt. Sie war Werbetexterin in einer kleinen Agentur. Es gibt einige Fotos von ihr im Netz, wir können ziemlich
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