Fuer den Rest des Lebens
sich um die eigene Familie. Er hat sich nicht genug angestrengt, er hätte die Verantwortung übernehmen müssen, er war der geliebte Sohn, er hat versagt, und nun fällt ihm ein, dass Anati gestern gesagt hat, sie müsse dringend mit ihm sprechen, und ihr Gesicht war feindselig, bestimmt hat er auch sie enttäuscht, weil er ihr ausgewichen ist, denn er stellte sich vor, sie wolle ihm von ihrer Schwangerschaft berichten.
Bedrückt verfolgt er, wie schnell sie sich verändert, ihm scheint, sie mache alles, wofür er zwanzig Jahre gebraucht hat, innerhalb weniger Monate durch, ihre mitreißende Begeisterung ist verflogen und hat Defätismus Platz gemacht. Wir können ihnen sowieso nicht helfen, sagt sie immer wieder, warum sollen wir es dann versuchen, und die Gedanken an sie gehen ihm auch nicht aus dem Kopf, während er in den engen Straßen einen Parkplatz sucht, und plötzlich spürt er ein stechendes Unbehagen. Was will sie von ihm, was bedeuten ihre vorwurfsvollen Blicke, die sie ihm in der letzten Zeit immer wieder zuwirft, als hätte er sie getäuscht, dabei hat er sie doch von Anfang an gewarnt, dass sie in seiner Kanzlei mehr Frustrationen als Befriedigungen erleben würde. Hat sie sich etwa in ihn verliebt und fühlt sich zurückgestoßen? Aber das ist unlogisch, er ist so viel älter als sie, so etwas passiert manchmal, aber bestimmt nicht ihm. Wie seltsam, dass ausgerechnet ihre Hochzeitsnacht zur Nacht seiner Befreiung wurde, dass sie es war, die ihm die Veränderung in seinem Leben zeigte, ohne dass sie etwas damit zu tun hatte, vielleicht hat sie ihn deshalb vom ersten Moment an fasziniert, als sie in seinem Büro auftauchte, eine junge, schwere Frau mit schönen Augen und bemüht, einen guten Eindruck zu machen.
Guten Morgen, Nasrin, hört er sie sagen, als er das Büro betritt, nein, Rechtsanwalt Horowitz kann den Fall nicht annehmen, ich habe ihm die Unterlagen gezeigt und die Antwort ist negativ, nein, es gibt keine Chance, und er unterbricht überrascht das Telefongespräch, was soll das heißen, Anati, um welchen Fall geht es? Ich erinnere mich nicht, dass du mir in der letzten Zeit einen neuen Fall vorgelegt hast, und sie unterbricht das Telefonat und sagt trocken, ich habe ihn aussortiert, es ist ein hoffnungsloser Fall, wir hatten schon ähnliche Fälle, und es ist uns nie gelungen, eine Ausweisung zu verhindern, und er fragt, was für eine Ausweisung, um wen geht es?
Noch so ein gemischtes Paar, er kommt aus Ostjerusalem mit einem blauen Ausweis und sie aus einem Dorf in der Nähe von Ramallah, mit einem Bruder bei einer Terrororganisation, man hat einen Ausweisungsbescheid gegen sie erwirkt, die übliche Geschichte, und er wird von ihrem Ton abgestoßen, es gibt keine üblichen Geschichten, fährt er sie an, jede Geschichte ist einzigartig und besonders, und ich verstehe nicht, wie du Leute in meinem Namen abwimmelst, ohne mich überhaupt zu informieren, ist das schon einmal passiert?
Eigentlich nicht, sagt sie, und er warnt sie, tu das ja nicht wieder, so etwas darf nicht noch einmal passieren, aber sie unterbricht ihn, mach dir keine Sorgen, das wird gar nicht mehr möglich sein, das ist es, was ich dir sagen wollte, ich kündige, ich möchte ein anderes Praktikum in einer Wirtschaftskanzlei anfangen, ich habe die Nase voll von Menschenrechten, das ist ein Bereich für Phantasten, die immer verlieren, ich möchte auch manchmal gewinnen.
Die immer verlieren?, sagt er unwirsch, eine solche Geisteshaltung ist ihm nicht fremd, aber ihre Entschiedenheit kränkt ihn, seit wann verlieren wir immer? Und sie sagt, seit ich hier bin, hast du jedenfalls kein einziges Mal gewonnen. Steven hat man ein bisschen Geld zugesprochen, das ihn nie im Leben für sein entstelltes Gesicht entschädigt, die Beduinenschule wird man letztlich abreißen, sie werden niemals die Baugenehmigung bekommen, noch nicht einmal für die Toilette, und wenn sie ohne Genehmigung bauen, wird man einen Abrissbefehl vorlegen und Bagger schicken, um die Kloschüsseln herauszureißen, und im besten Fall erreichst du einen vorläufigen Bescheid zum Aufschub des Abrisses. Es ist ja ganz nett, dass du erreicht hast, dass Dschalin ein paar Ziegen zurückbekommen hat, und bestimmt sind sie dir dankbar dafür, aber was hast du seither getan, außer dass du einen Aufschub nach dem anderen erwirkt hast, ich weiß wirklich nicht, wie du so weitermachen kannst.
Ein paar Ziegen?, sagt er wütend, und was ist mit all den Leuten, die ich
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