Fuer den Rest des Lebens
diesen oder jenen geschoben werden, doch die Schuldigen sind austauschbar, neue Schuldige tauchen auf und nichts ändert sich, und es ist, als würde eine starke und wilde Kraft wie die Ausstrahlung der Schöpfung es schaffen, die einfachen menschlichen Bedürfnisse zu missachten und die Masse in eine hoffnungslose Realität zu drängen.
Vielleicht sollten sich Wissenschaftler dieses Konflikts annehmen, keine Staatsmänner, denkt er, vielleicht würden sie es schaffen, eine Formel zu finden, denn dieser Widerspruch zwischen den Einzelnen und dem Ganzen zieht sich in diesem Teil der Welt über Generationen hin und diese Leute sind Opfer, so wie diese junge Frau, die jetzt von ihrem Zuhause vertrieben werden soll, obwohl ihr Mann Bürger dieses Staates ist, und sie muss sich von ihrer Familie lossagen oder sie mitnehmen in das Dorf, aus dem sie gekommen ist, weil ihr Bruder Mitglied einer staatsfeindlichen Organisation ist, deshalb gilt sie als Sicherheitsrisiko, auch wenn sie ihren Bruder schon seit Jahren nicht mehr gesehen hat, und natürlich gibt es größere Tragödien als diese, er hat selbst schon viel schwierigere Fälle betreut, sie darf immerhin ihren Mann und ihre Kinder in ihr Dorf außerhalb der Staatsgrenze mitnehmen, trotzdem handelt es sich um einen massiven Eingriff in ihr Leben, und diesen Eingriff wird er zu verhindern versuchen, deshalb muss er alles wissen, Wichtiges und Unwichtiges. Wann hat sie ihren Bruder zum letzten Mal gesehen und wie gut ist ihr Verhältnis zu ihrer Familie und wie ist das Verhältnis ihres Bruders zu den anderen Familienmitgliedern und was weiß sie von seinen Aktivitäten, und weil nicht viel Zeit bleibt, die Gerichtsverhandlung ist schon für den nächsten Monat angesetzt, ist er so angespannt und aufmerksam, dass er vergisst, seinen Sohn von der Schule abzuholen, er überhört sogar das erste Klingeln des Handys in seiner Tasche, bis es zum zweiten Mal klingelt.
Papa, wo bleibst du?, fragt sein Sohn, ich warte schon seit einer halben Stunde auf dich, und er springt vom Stuhl, oh, entschuldige, Tomeri, ich bin hier bei einem Treffen und habe nicht auf die Uhr geschaut, ich fahre sofort los, und er verabschiedet sich hastig von Nasrin, ich gehe die Unterlagen durch und dann rufe ich Sie an, verspricht er, ihre Lippen zittern, als sie ihn fragt, glauben Sie, dass wir es schaffen? Haben wir eine Chance? Und er zögert mit der Antwort, er erinnert sich an das, was seine Praktikantin gesagt hat, du verlierst sowieso immer, warum soll man sich etwas vormachen.
Das hängt vom Richter und von allen möglichen anderen Faktoren ab, sagt er, aber ich habe ein gutes Gefühl, und bis zum Schultor begleitet ihn dieses Gefühl, das er schon lange nicht mehr gehabt hat, er wird nicht zulassen, dass man sie aus ihrem Zuhause vertreibt, das darf nicht sein, doch als er seinem Sohn unter vielen Entschuldigungen die Autotür aufmacht, vergeht das gute Gefühl, und er wirft dem Jungen einen bedrückten Blick zu, wie leicht ist er beleidigt, wie schnell fühlt er sich benachteiligt, und wieder überlegt er, wohin er mit ihm gehen könnte, es wird Zeit, dass er sich eine Wohnung sucht, in der Nähe seiner früheren Wohnung, es lohnt sich nicht, mit dem Jungen jetzt bis nach Ost-Talpiot zu fahren, da fällt ihm Röchele ein und er fragt, hast du Lust, eine Pizza zu essen? Er weiß, dass sein Sohn nur kühl nicken wird, um ihm zu zeigen, dass kein Vergnügen die Kränkung ausgleicht, trotzdem wird er nichts dagegen haben.
Sie fahren zur Pizzeria des Viertels, die aus ein paar Tischen mit Sonnenschirmen besteht und darüber ein Plastikdach, als wäre noch immer Sommer, und aus irgendeinem Grund schaut er sich nach Röchele in ihrem weißen Brautkleid um, nach ihr und ihrem Sohn, und wirft verärgert einen Blick auf die Uhr, als habe er sich mit ihnen verabredet und sie würden sich verspäten. Die Stadt ist voller Pizzerias, warum sollte sie ausgerechnet hierher kommen, und warum jetzt, und wozu brauchst du sie eigentlich, etwa um die Spannung zwischen dir und deinem Sohn aufzulösen? Warum tust du das nicht selbst, aber wie? Es ist zu spät, denkt er und bestellt für sie beide je eine Pizza und Traubensaft, er wartet an der Theke und summt gedankenlos das Lied mit, das aus dem Lautsprecher kommt, ja, ich verliebe mich wieder in dich, summt er, und ich verlieb mich dann wieder in dich, er lässt den Blick über die lächerlichen Sonnenschirme wandern, den reizlosen lärmenden Abhang, der
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