Fuer den Rest des Lebens

irgendeinem Grund spricht sie nicht weiter, was soll sie sagen? Und dann wird die Welt auf den Kopf gestellt werden? Und dann wird sich euer Leben ändern? Und dann steht ihr vor der schwersten Entscheidung eures Lebens? Wenn ihr ihn ablehnt, wie das Paar vor euch, werdet ihr keine weitere Chance bekommen, und schlimmer als das, vielleicht wird auch der Junge keine Chance mehr bekommen, und wenn ihr euch entschließt, ihn anzunehmen, steht euch eine große Erschütterung bevor, aber das weiß sie natürlich nicht. Woher soll sie wissen, dass dieses Paar, der kleingewachsene Mann mit der gestrickten Wollmütze, die sein Gesicht fast bedeckt, und die Frau in dem weißen Mantel, die größer ist als er, nie mehr zusammen irgendwohin fahren werden, sondern unter der Walze der Uneinigkeit zerquetscht werden, dass diese beiden Menschen, deren Bedürfnisse in einem Frontalzusammenstoß hart aufeinanderprallen, zwar relativ ruhig ihren Alltag leben, größeren Herausforderungen aber nicht standhalten können. Dass diese beiden Menschen, die sie jetzt aussteigen lässt und zu einem kleinen, erstaunlich angenehmen Hotel führt, sich nicht in dem Bett mit dem weißen Überwurflieben und die Spannung mit ein paar freundlichen Worten lockern werden. Und auch wenn sie im überheizten Restaurant einander gegenübersitzen werden und erstaunlich hübsche Kellnerinnen in kurzen Röcken, von denen eine vielleicht seine Mutter ist, ihnen frische gebackene Flussfische und grüne Bohnen mit saurem Rahm und duftendem Buchweizen servieren, wird sein Blick dem ihren weiterhin ausweichen, und sie wird nicht wagen, die Gabel zu seinem Teller auszustrecken, wie sie es sonst tut, um von seinem Gericht zu probieren, es wird sein, als habe die Enge des Restaurants sie gezwungen, mit einem völlig Fremden am Tisch zu sitzen und zuzuschauen, wie er kaut, seine scharfen Kiefer knirschen, und sie ermahnt sich, nicht weiterzudenken, nicht an ihre bevorstehende Trennung und nicht an das Leben, das sich ändern wird, sondern nur an den Jungen, dessen Foto sie in der Tasche hat und von Zeit zu Zeit betrachtet. Morgen treffen wir uns, Junge, morgen wird das Kapitel ein Ende finden, das irgendwann einmal angefangen hat, wer weiß wann, und ein neues Kapitel wird beginnen, ein neues Buch, genauer gesagt, in einer anderen Sprache, ein Buch, das von einer anderen Frau geschrieben werden wird, denn wenn ich dich getroffen habe, werde ich nicht mehr derselbe Mensch sein können.
    Der Fernseher, der an der Wand gegenüber hängt, bringt immer nur kurze Clips und Werbung, ein endloser Lärm, dem man nicht entkommen kann, auch nicht der schrecklichen Hitze, vor kurzem hat sie sich nach Wärme gesehnt, und jetzt wird sie von der Hitze gequält, sie zieht eine Schicht nach der anderen aus und bleibt in einem verblichenen T-Shirt sitzen, das sie nicht mehr ausziehen kann, während alle anderen Gäste sehr gut angezogen sind, und sie sieht, wie Gideons angetrunkene Blicke ihnen anerkennend folgen, ja, es ist alles möglich, trotz seines Alters ist er noch immer anziehend, und er ist ziemlich bekannt, er kann leicht noch eine Frau finden, die viele Jahre jünger ist als er, viele Jahre jünger als sie. Eine plötzliche Kränkung lässt sie aufstehen, ich gehe ins Zimmer, sagt sie, sie hat vergessen, dass sie nicht miteinander sprechen, sie nimmt den Mantel, die beiden Pullover und den Schal und lässt ihn bei seinem Bier sitzen, soll er sich doch noch eins bestellen, und im Zimmer zieht sie die schweren Schuhe aus und legt sich in Kleidern auf das Bett, gleich stehe ich auf, packe den Koffer aus und gehe duschen, verspricht sie sich, und ich werde an diesem Tag Ordnung machen, dem Tag, von dem ich nicht weiß, wann er begonnen hat und wann er enden wird, ein Tag ohne Grenzen, aber sie ist unfähig, aufzustehen, obwohl ein Weinen in ihren Ohren klingt, Junge, sagt sie seufzend, noch im Schlaf, bist du es, der in der Ferne weint, und bin ich es, die du rufst? Von Minute zu Minute rollt die Zeit zurück und sie murmelt, Gideon, Nizan ist aufgewacht, kannst du sie zu mir ins Bett bringen? Ihre Brüste sind prall, Milch tropft heraus, und dann ist sie im Kinderhaus im Kibbuz, jede Nacht weint jemand und steckt die anderen Kinder mit seiner Sehnsucht an, heute Nacht ist sie es, die ruft, komm, Mama, ruft sie, komm, meine Mutter, komm.
    Als sie ein paar Stunden später aufwacht, geht sie erregt zum Fenster, durch das blasses Licht hereinfällt, wie fremd alles aussieht, wie