Fuer den Rest des Lebens
Haare dünn geworden, metallisch, und ihre Tochter färbt sie nicht, wie es die meisten Frauen ihres Alters tun, widerspenstig trägt sie die graue Mähne, die das jugendliche Gesicht umrahmt, Chemda kommt es vor, als sei sogar dieser Schritt gegen sie gerichtet, denn ihre Tochter quält sich selbst, nur um ihr, Chemda, zu beweisen, dass jene Tage, die Tage der Kindheit, auf katastrophale Art zerstört waren, und deshalb vernachlässigt sie sich selbst, sie hungert, von Jahr zu Jahr wird sie knochiger, ihre Tochter ist noch magerer und kleiner als sie. Sie schrumpfen zusammen, die Frauen der Familie, in zwei, drei Generationen werden sie vielleicht verschwunden sein, während ihr Sohn so aufquillt, dass es ihr manchmal schwerfällt, in diesem runden, kahlköpfigen, schnaufenden Mann ihren schönen, gut gewachsenen Sohn zu erkennen, der von seinem Großvater die seltenen blauen Augen geerbt hat, und zuweilen betrachtet sie ihn zitternd, denn es kommt ihr vor, als habe dieser Mann ihren Sohn ermordet und lebe an seiner Stelle weiter, schlafe in seinem Bett, erziehe seine Kinder, so wie sie misstrauisch gegen die fremde Frau war, die vor vielen Jahren aus Amerika gekommen war und sie umarmen und küssen wollte und behauptete, ihre Mutter zu sein.
Der ganze Kibbuz wartete auf dem Rasen, um sie bei ihrer Rückkehr von dem ausgedehnten Auslandseinsatz zu empfangen, nur sie hatte sich auf einem der Bäume versteckt, eine kleine Äffin trotz allem, und das angespannte Warten beobachtet, das ganz und gar unpersönlich war, denn wer von den Kindern konnte sich an ihre Mutter erinnern, wenn selbst sie sie vergessen hatte, und wer von den Erwachsenen erwartete sie wirklich, außer ihrem Mann und einer Handvoll Verwandter. Schließlich waren die meisten neidisch auf sie, vor allem die Frauen, die viele Stunden lang in der Küche, im Kinderhaus, im Gemüsegarten, in der Näherei und im Lagerschuppen ihre Dienste machten, in blauer Arbeitskleidung und mit von Krampfadern blauen Beinen, und nur sie, Chemdas Mutter, trug elegante Kostüme und saß in einem Büro in der Stadt, und manchmal reichte ihr das nicht und sie verschwand in irgendeinem Auftrag, und nur der Teufel wusste, wer sie geschickt hatte und warum. Ja, all diese Worte hatte Chemda gehört, als sie sich in den Zweigen versteckt hielt, und selbst wenn sie nichts verstand, konnte sie die Worte erraten, und wenn sie sie nicht erriet, erfand sie welche, schließlich warteten sie nicht auf Chemdas Mutter, sondern auf einen leichten Lufthauch aus der großen Welt, eine Hoffnung, eine süße Erinnerung, das alles sollte diese Frau mitbringen, die gerade erschöpft aus einem schwarzen Dienstwagen stieg. Wer war sie? Sogar durch die Zweige konnte sie erkennen, dass es nicht ihre Mutter war, der lange Zopf war verschwunden, das Gesicht war voller und sehr blass, der Körper schwerfällig. Trauernd und erschrocken sprang sie aus der Baumkrone, niemand bemerkte, dass sie von dort verschwand, möglichst schnell und möglichst weit, zum See.
Du bist nicht meine Mutter, rief sie schließlich, als sie ins Zimmer der Eltern zurückkehrte und ihr gegenüberstand, und die fremde Frau schaute sie traurig an, ihre Augen blieben aus irgendeinem Grund an ihren knospenden Brüsten hängen, den spitzen Brüsten einer Zwölfjährigen, die von einer schmutzigen Bluse bedeckt wurden. Mein armes Mädchen, wie vernachlässigt du bist, sagte sie, als wäre es nicht sie selbst, die sie vernachlässigt hatte, und sofort versuchte sie, sie zu beruhigen, ich war lange krank, Chemdale, ich lag im Krankenhaus, deshalb hat man mir den Zopf abgeschnitten, ich hatte eine Nierenentzündung und mein Gesicht ist angeschwollen, und Chemda suchte in dem Gesicht gegenüber die bekannten Windpockennarben, zwei kleine Vertiefungen zwischen Kinn und Lippen. Du bist nicht meine Mutter, stellte sie enttäuscht fest, du hast keine Narben, und die fremde Frau strich sich über das Kinn, ich habe die Narben, man sieht sie nur nicht, schau, hier, und Chemda fing an zu weinen, wo ist meine Mutter? Was hast du mit meiner Mutter gemacht? Die fremde Frau griff nach dem knochigen Unterschenkel ihres Vaters, und sie stürzte sich auf sie, fass ihn nicht an, tu ihm nicht das an, was du meiner Mutter angetan hast, jetzt habe ich nur noch ihn, und in den ersten Nächten warf sie sich in ihrem Bett im Kinderhaus herum und sah vor ihrem geistigen Auge, wie die fremde Frau, die ihre Mutter verschlungen hatte, jetzt an den Schenkeln
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