Für ein Ende der Ewigkeit (Lilith-Saga) (German Edition)
bist.“
Ich ließ mir nichts anmerken, sondern packte mit festem Griff ihren Koffer, um zu verhindern, dass mich meine zitternden Hände verrieten. „Du hast wohl den Inhalt deines gesamten Kleiderschranks eingepackt“, scherzte ich mit dem inständigen Wunsch, dass es echt klang. Mit Gewalt drückte ich die Heckklappe nach unten und sie schnappte zu.
Tante Karin schob mir einen Umschlag, in dem es verheißungsvoll knisterte, in die Hosentasche und dann brausten sie mit heruntergerollten Fenstern laut auf Wiedersehen rufend und winkend los.
Ich ging zurück ins Haus, schloss bedächtig die Tür hinter mir. In der Küche schenkte ich mir ein großes Glas Mineralwasser ein, bevor ich mich an meinen gewohnten Platz an den Esstisch setzte.
Als ich das Wasser zu meinen Lippen führte, brach meine Selbstbeherrschung in sich zusammen. Mein Arm bebte heftig. Das Glas schlug stakkato-artig gegen meine Zähne. Ich verschüttete den Inhalt.
Ich stellte mein Getränk ab, ließ meine Hände auf die Tischplatte sinken und beschränkte mich die nächsten Minuten auf meine Atmung. Ich spürte der Luft in meinen Lungen nach, wie sie ein- und wieder ausströmte. Ich fühlte ausschließlich, wie sich mein Brustkorb hob und senkte.
Langsam stabilisierte sich mein Zustand. Die vertraute Umgebung beruhigte mich weiter. Die Küchenmöbel, Gertis Bücherregal, das ich hinter der halb geöffneten Tür zum Wohnzimmer sah – all das gab mir ein wenig von meiner Ruhe und Kraft zurück.
Gedankenversunken betrachtete ich die gerahmten Fotos meiner Oma. Das ganze Haus hing voll davon. Fotos aus aller Welt - Ägypten, Mexico, Hongkong, Italien, Schweden, und wo sich Gerti als Fotoreporterin zu ihrer Zeit sonst noch herumgetrieben hatte. Sie war jahrzehntelang sehr erfolgreich in ihrem Job gewesen und hatte ihn erst endgültig aufgegeben, als ich ihr – quasi – zugelaufen war.
Aber selbst die Fotos konnten mich nicht wirklich auf andere Gedanken bringen.
Obwohl ich mich bemühte, mein Erlebnis auf der Autobahn zu verdrängen, gelang mir das nicht. Immer wieder tauchten die Bilder vor mir auf. Der geplatzte Reifen, die ineinander verkeilten Fahrzeuge, das dumpfe, metallene Scheppern der sich überschlagenden Wägen. Und der Schatten. Dieses anfangs wunderschöne Gesicht, das ich mehr erahnt als gesehen und das sich in eine unbeschreiblich grässliche Fratze verwandelt hatte, aus der ein schwarzer Höllenvogel herausgebrochen war. Allein bei dieser Vorstellung erhöhte sich mein Puls und meine Atmung begann, außer Kontrolle zu geraten.
Ich lenkte meine Gedanken in eine andere Richtung. Ich ertappte mich dabei, wie ich an den Schwarzgurt-Trainer dachte. Unsere Begegnung hatte sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich konnte ihn deutlich vor mir sehen, seine Ausstrahlung und seinen dunklen Augen, deren Abgründe ich nur zu gerne näher erforscht hätte. Immer wieder rief ich mir ins Gedächtnis zurück, mit welcher Geschmeidigkeit und Präzision er sich bewegt hatte.
Und dann wusste ich, was ich tun wollte.
2
Die Halle des Sportzentrums war um diese Uhrzeit fast leer. Lediglich der hintere Teil war belegt. Ein paar Kinder übten dort Badminton.
Ich holte mir eine der großen Gymnastikmatten und lehnte sie gegen die Wand. Ich konnte die Prüfung für den braunen Gürtel bestehen, wenn ich den Pandae-dollyo-chagi beherrschte. Im Moment schaffte ich ihn nicht. Das würde sich jetzt ändern.
Ich konzentrierte mich auf den Bewegungsablauf, stellte ihn mir genau vor und versuchte, jede Einzelheit zu verinnerlichen. Dann legte ich los.
Meine Tritte gingen hoch, sie waren fest, sie trafen. Aber sie waren noch lange nicht gut genug. Ich probierte sie wieder und immer wieder. Ich fühlte, wie mir der Schweiß über den Rücken lief und sich meine Muskeln langsam verhärteten. Das machte mir nichts aus, ich übte weiter. Meine Tritte krachten auf das Plastik der Matte. Sie hallten durch den Raum.
Schließlich brauchte mein Körper eine Pause. Heftig atmend stand ich da und starrte auf die Wand, wobei ich zu ergründen versuchte, was ich falsch machte. Mit dem Ärmel wischte ich mir den Schweiß von der Stirn. Da merkte ich, dass mich jemand ansah.
Ich drehte mich um.
Am Eingang der Halle stand der Taekwondo-Trainer in Jeans und T-Shirt. Er hatte die Arme verschränkt und lehnte lässig am Rahmen der offenen Hallentür. Er betrachtete mich mit leicht gesenktem Kopf - vermutlich hatte er mich schon länger beobachtet. Seine
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