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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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fiel ich in Panik. Die Schiffssirenen der Dampfer auf dem Yangzi zogen ihre Klänge durch die Nacht, als seien sie aus einer anderen Welt, wie die rauen Stimmen von hungerndem Vieh, es ließ mir keine Ruhe, und ich kroch nervös vom Bett zum Fenster. Ich hatte Angst und riskierte mein Leben beim Schreiben, ich aß und schlief immer weniger, aber mein Körper ist ungewöhnlich stark. Die Sommer in Fuling waren unerträglich, wenn man am Morgen vergaß, die Vorhänge zu schließen, konnte die Temperatur im Zimmer schnell auf über 40 Grad steigen, ich versank in einem Leuchten, mal trug ich eine Unterhose, mal lief ich nackt herum, wie ein Meeraffe saß ich auf meinem viereckigen Schemel und schrieb, auf der Schulter ein feuchtes Handtuch, der Schweiß lief in Sturzbächen herab, das Gesicht in einem fünffarbigen Frotteetuch vergraben, so habe ich die über dreitausend Zeilen und fünf Teile von »Der vollendete Meister« fertiggemacht, dann noch, ohne Atem zu holen, die Gedichte »Bastard« und »Götze«, jedes vier-, fünfhundert Zeilen lang, und dazwischen habe ich noch irgendwelche Notizen und Prosagedichte fabriziert. Ich habe die Leere meines Lebens bis an den Rand gefüllt, und mit diesem Riesenwust von Manuskripten überhäufte ich meine Frau, wie ein Aufseher lief ich hin und her, zwang sie, das Ganze abzuschreiben, abzuschreiben, abzuschreiben. A Xia hatte Tränen in den Augen, sie arbeitete Tag und Nacht, und dieses begabte Geschreibsel bezahlte sie mit Zeiten als Strohwitwe in einem leeren Zimmer.
    Ich schüttete die Zeilen aus mir heraus wie Wasser aus einem Eimer, aber der große, zu Schaffenszeiten streng asketische Kugelschreiber auf dem Papier hatte Lust zu töten, auch meinen Schreiber aus Fleisch juckte es, als wolle auch er hochkommen und etwas hinschmieren. Ich war körperlich und seelisch am Ende, und es wurde langsam kühler. Ich dachte mir Gründe aus, um wegzukommen, manchmal verschwand ich auch einfach grundlos.
    Einmal war A Xia unachtsam und hatte sich ein Bein gebrochen, ich war wie von Sinnen und hetzte mit ihr zum Krankenhaus, sie wurde geröntgt, bekam einen Gips, ich schluckte, ich saß wie auf Kohlen, als der Arzt fertig war, raste ich sofort wieder mit ihr nach Hause. Dann räumte ich das Zimmer auf, kaufte ein, kochte, fand Zeit, von uns oben hinunter an die Kais abzutauchen, kaufte eine Fahrkarte, machte auf dem Fuß kehrt und kletterte wieder hinauf. Als ich diesen Marathon hinter mir hatte, hatte ich das Gefühl, dass mir die Luft dünn wird, ich hatte Wadenkrämpfe, ich war seit dem Morgen keinen Augenblick zur Ruhe gekommen.
    Schließlich machte ich mich auf die Piste, angeblich, weil ich schon ein Schiffsticket habe.
    A Xia hielt mich fest, ich sollte nach ihrem Bein sehen.
    »Ich komme zu spät!«
    Ich fasste mir ein Herz und riss mich los. In diesem Augenblick war in der Ferne eine Schiffssirene zu hören, es zog mich fort, A Xia winselte wie ein Kind: »Nicht so, nicht so!«
    Ich wischte ihr die Tränen ab und schielte auf meine Armbanduhr.
    »Komm bald zurück!«, schluchzte sie undeutlich.
    Als die Tür hinter mir zuschlug, lief es mir kalt den Rücken hinunter, intuitiv spürte ich ihre schicksalsergebenen Blicke hinter mir, ich stürzte nach unten und wusste nicht, wohin.
    »Erst mal los, dann sehen wir weiter!«, das war die Losung der Zeit; wir brachen auf, irgendein nebulöses Ziel im Kopf, wir wussten längst nicht mehr, was wir eigentlich wollten, unterwegs gab es oft neue Ziele, die uns reizten, anzogen, das wechselte andauernd. Wir hatten einen Stachel im Blut, den wir nur durch ständige Aktivität vergessen konnten.
    Das Schreiben von Gedichten war eine solche Aktivität, doch wenn die Schreiberei einen geschafft hatte, dann half nur die Straße, raus, irgendeinem Flirt hinterher, auf dem Leib einer Frau den Weg des Großen Dao beschreiten, sich unter ihren Brüsten unterstellen, schlafen, wenn man müde war; und wenn man schlief nicht mehr aufwachen.
    Nach und nach waren Frauen für mich nicht mehr schön oder hässlich, nur noch dick oder dünn. Ich hatte keinen Appetit mehr, selbst zweimal gebratenes Schweinefleisch, das ich schon als Kind so geliebt hatte, aß ich kaum noch, denn von der Schweinemilch, die der Koch da verarbeitete, bekam man sexuelle Wahnvorstellungen.
    Eine Weile waren mir dicke Frauen ein Gräuel, aber auf der ganzen Welt gab es nur noch dicke Frauen. Einmal war ich am Wochenende zu einer Kerzenscheinparty in der Kunstakademie

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