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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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besahen sich die Aufregung. Kinder kletterten den Leuten wie kleine Affen auf die Arme, jubelten durch das Gitter und wurden von dem diensthabenden Personal mit Besen verscheucht. Ich teilte die Wand aus Menschen und rief sie zur Ordnung, da schrie der alte Torwächter zurück: »Geh heim, deine Alte hat längst Schluss!«
    Ich drängte mich halb durch den Spalt im Tor, das wollte ich so nicht stehenlassen, und ich schrie zurück: »Meine Freundin hat noch nicht Schluss!«
    Sofort ging in der Menge das Gemurmel los: »Noch so ein Mantou-Dieb!«
     
    Im Hof der Bezirksverwaltung drängte sich eine homogene Masse von Studenten, die Gebäude, die den Hof von drei Seiten einschlossen, waren gähnend leer. Die Bürokratie war, von der imposanten Internationale in Angst und Schrecken versetzt, noch in der Nacht stiften gegangen, es hieß, »um sich in grundlegende Untersuchungen zu vertiefen« (das habe ich von Yang Rudai erfahren, dem Sekretär des Provinzkomitees; als die Studentenrevolte in Chengdu für Konfusion sorgte, saß Yang Rudai, der aus einer alten Bauernfamilie stammt, mit gespreizten Beinen auf dem Deck eines Yangzi-Ausflugsschiffes und zeigte mit dem Finger auf die Yangzi-Berge, während sich auf seiner Afterseite ein großer Halbkreis von konfusen Bezirks- und Kreisbeamten auftat).
    Auf der überstürzt einberufenen Arbeitsbesprechung wurde ein in die zweite Reihe zurückgestufter ehemaliger Attachéstellvertreter von der versammelten Führungskräftemannschaft aus seinen Träumen geweckt und mit einer schweren Aufgabe in der Etappe betraut.
    Und jetzt stand der aalglatte alte Gauner mit schweißnassen Haaren vor über tausend Studenten, er sah aus wie eine gepanzerte Schildkröte. Eine Kommilitonin schrie immer wieder: »Nieder mit der Bürokratie, Strafe für Korruption, unterstützt die unschuldigen patriotischen Studenten auf dem Tiananmen!«
    Der Kerl war einen Augenblick unentschlossen, er schwankte zwischen Kneifen und Flucht nach vorn. Der alte Büromensch setzte ein törichtes Lächeln auf, wartete, bis die Rufe abebbten, räusperte sich und begann:
    »Kommilitonen! Liebe patriotische Kommilitonen! Meine lieben jungen Freunde! Wir haben alle das gleiche Ziel. Die Regierung freut sich, euch zu einem vertrauensvollen Gespräch als Gäste in der Bezirksverwaltung zu begrüßen. Das ist kein Dialog, das sind auch keine Verhandlungen, das ist eine Kommunikation zur Überbrückung der Kluft zwischen den Generationen. Das Heimatland, das Heimatland, nur wo ein Land, ein Staat ist, ist auch Heimat, Familie, und in einer Familie ist es auch erlaubt, seine Meinung zu sagen, z.B. wie man den Reis kochen soll, wie viel Wasser man braucht, wie man am besten das Essen macht und so weiter. Das ist natürlich nur ein Beispiel, das große Essen in einem Staat zu kochen, das ist nicht so einfach. Kommilitonen, meine Enkelin ist im gleichen Alter wie ihr, sie studiert in Beijing, ihr seid doch wie meine eigenen Kinder. Wenn euch etwas fehlt, wenn es Probleme gibt, mit dem Studium, mit dem Leben, sagt es nur! Am besten wäre es, wir könnten die Probleme auf der Stelle lösen, aber wenn das nicht geht, dann werde ich es als meine Pflicht ansehen, eure Probleme nach oben weiterzuleiten.«
    Er blies dem Ochsen auf die sentimentale Tour ins Horn, der alte Gauner presste coram publico sogar zwei patriotische Tränen aus sich heraus, dabei spreizte er seine Bärentatzen und patschte einer Studentenvertreterin derart auf die Schulter, dass die einen Satz machte.
    »Was soll das?«, fuhr ihn ein Studentenführer mit Brille an, der alte Gauner zog ärgerlich die Hand zurück, der Junge nutzte die Gelegenheit und ging zum Gegenangriff über: »Eine Frage, Herr Attaché, soll man gegen Profiteure im Beamtenapparat vorgehen?«
    »Soll man, soll man.«
    »Soll man Korruption bestrafen?«
    »Soll man, soll man.«
    »Soll man die Verdienste des Genossen Hu Yaobang anerkennen?«
    »Soll man, soll man.«
    »Soll man die patriotischen Aktionen der Studenten in Beijing unterstützen?«
    »Soll man, erst gestern habe ich tausend Renminbi für sie gespendet, und ich werde Freunde und Verwandte mobilisieren, das Gleiche zu tun.«
    »Soll man Li Peng absetzen?«
    »Soll man, nein, ich meine, man sollte eure Forderung nach oben weiterleiten.«
    »Soll man oder soll man nicht …?«
    »Man soll, man soll, ganz bestimmt soll man das!«
    Der Beamte, dieser Vater des Volkes, nickte wie ein Vogel beim Körnerpicken und brachte es so weit, dass

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