Für eine Nacht
das, was die Leute hier über ihn sagen, richtig deute, dann gehört er wohl nicht unbedingt zu den angesehensten Bürgern der Stadt, nicht wahr?«
Chase zögerte, da er fieberhaft nach taktvollen Worten suchte, um den alten Mann zu beschreiben. »Er ist ...«
»Du brauchst mir die bittere Pille nicht zu versüßen«, unterbrach sie ihn. »Sprich einfach so offen und ehrlich mit mir wie ich mit dir.«
Chase nickte. Er konnte nicht umhin, ihre innere Kraft zu bewundern. »Er ist exzentrisch und ungesellig. Ein Menschenfeind. Das fasst es eigentlich am besten zusammen.«
»Vielleicht war er nicht immer so.«
Er zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Möglich wäre es schon. Meine Mutter müsste es wissen. Sie war immer sehr nett zu ihm, daher nehme ich an, dass du Recht hast.« Chase hatte nie über die Vergangenheit des alten Mannes nachgedacht. Irgendetwas musste in seinem Leben vorgefallen sein, denn er war sicher nicht von ungefähr zu dem seltsamen Kauz geworden, der er heute war. Fast schämte er sich dafür, dem Mann, der, wie sich herausgestellt hatte, Sloanes Vater war, so wenig Interesse und Mitgefühl entgegengebracht zu haben.
Sloane sah ihn an und rang sich ein gequältes Lächeln ab. »Ich würde mich gerne einmal mit Raina über ihn unterhalten.«
»Dann mach dich darauf gefasst, deinerseits von ihr nach allen Regeln der Kunst ausgequetscht zu werden.«
Sie lachte. »Ich mag deine Mutter. Sie hat Mumm und weiß, was sie will.«
Chase verdrehte die Augen. »So kann man es auch nennen.«
»Was ist dagegen einzuwenden? Das sind Eigenschaften, die meinen leiblichen Eltern scheinbar völlig fremd waren.«
»Sag doch so etwas nicht. Du bist die mutigste Frau, die mir je begegnet ist, und das muss ein Erbteil deiner Eltern sein«, versuchte er sie zu trösten. Er wusste, wie schwer es ihr fallen musste, über dieses schmerzliche Thema zu sprechen. Und ihm lag noch eine Menge Fragen auf der Zunge.
»Ich weiß es nicht.« Tränen schimmerten in ihren großen Augen. »Was müssen denn das für Menschen sein, die sich kaufen lassen?«
Er richtete sich auf. Sein Journalistenhirn lief auf Hochtouren. »Wie meinst du das?«
»Es sieht so aus, als hätte mein Großvater, Jaquelines Vater, Samson irgendwie in der Hand gehabt. Er hat ihn gezwungen, sich von meiner Mutter zu trennen, und ihm noch Geld dafür gegeben.«
Chase blinzelte überrascht. Bestechung? Ob Senator Carlisle da seine Finger mit im Spiel gehabt hatte? Aber er behielt alle Fragen, die derartige Anschuldigungen enthielten, vorerst für sich, weil er nicht wollte, dass Sloane vollends die Fassung verlor. Er wollte sie nicht unnötig belasten, die ganze Sache war schon schlimm genug für sie.
Unwillig schüttelte er den Kopf, wohl wissend, dass sein Verhalten für einen Reporter absolut unprofessionell war. Aber nie hatte er sich weniger als Reporter und mehr als Mann gefühlt als in Gegenwart dieser Frau. »Gehen wir einmal davon aus, dass Samson gute Gründe hatte, das Geld anzunehmen. Wenigstens solange wir nicht mehr über diese Geschichte wissen, okay?« Er wusste nicht, ob er selbst glaubte, was er da sagte, aber Sloane sah aus, als lechze sie nach einem Hoffnungsschimmer am Horizont. »Und falls es dich tröstet – Samson hat immer in ärmlichen Verhältnissen gelebt. Wieso
hätte er das tun sollen, wenn er eine größere Summe bekommen hätte?«
»Ich weiß. Ich habe sein Haus vor der Explosion gesehen. Ich bin hineingegangen.« Sie erschauerte und schlang die Arme um den Oberkörper. »Es war gespenstisch da drin – und traurig.«
Er nickte. »Das glaube ich dir gern.« Er kniff sich in die Nase, während er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. »Warum bist du gerade jetzt hierher gekommen, um Samson zu suchen?«, fragte er, um sie zum Ausgangspunkt des Gesprächs zurückzuführen. Ihr Vater steckte mitten im Wahlkampf; einen ungünstigeren Zeitpunkt hätte sie sich gar nicht aussuchen können, um sich auf die Suche nach ihrem wahren Erzeuger zu machen.
»Weil ich erst vor kurzem die Wahrheit erfahren habe, darum. An jenem Abend, an dem wir uns kennen gelernt haben, um genau zu sein.« Sie stand auf und begann im Raum umherzugehen. »Ich wollte mit meinen Eltern zu Abend essen und kam zu früh in ihr Hotel.« Sie brach ab.
»Sprich weiter«, ermunterte er sie.
Sloane räusperte sich. »Michael und Madeline waren noch nicht da, aber Michaels Wahlkampfmanager war im Zimmer, zusammen mit seinem Assistenten. Ich kenne die beiden
Weitere Kostenlose Bücher