Für eine Nacht
Gesichtsausdruck, als sie ihn mit Sloane gesehen hatte, ging ihm nicht aus dem Kopf. Er wollte nach Harrington fahren, um dort offiziell eine Beziehung zu beenden, die schon lange zu Ende war. Und dann wollte er ein paar Nachforschungen über Sloanes Großvater Jack Ford anstellen. Er musste herausfinden, was in der Vergangenheit zwischen ihm und dem verschwundenen Samson Humphrey vorgefallen war.
Sloane wartete im Wohnzimmer, während Raina Tee aufbrühte. Sie schritt an den Bücherregalen entlang, betrachtete die Bilder von Chase und seinen Brüdern als Schuljungen und
verfolgte ihre Entwicklung zu reifen Männern. Die hübschen Kinder hatten sich zu ausgesprochen gut aussehenden Erwachsenen gemausert. Und wenn Raina ihren Willen durchsetzte, würden sie eines Tages selbst Bilderbuchfamilien haben. In Romans und Charlottes Fall ließ dieser Tag nicht mehr lange auf sich warten. Chase hatte ihr erzählt, dass Charlottes Baby nächsten Monat zur Welt kommen sollte. Und nachdem Sloane Ricks Frau Kendall gesehen hatte, bezweifelte sie nicht, dass auch dieses attraktive Paar hübsche Babys bekommen würde.
Aber Chases Kinder mussten der Traum einer jeden Mutter sein. Sie konnte sie förmlich vor sich sehen – blauäugige, schwarzhaarige kleine Kobolde. Aber dann wurde sie schmerzhaft in die Realität zurückgerissen. Chase hatte diese Möglichkeit ja bereits klar ausgeschlossen. Zu schade, dachte sie. Bei der Vorstellung hatte sich ein warmes Gefühl in ihrer Magengegend ausgebreitet.
Wieder ließ sie den Blick über die Fotos schweifen. Bekümmert stellte sie fest, dass Chase von Jahr zu Jahr ernster und gesetzter wirkte. Er hatte schon früh eine schwere Last auf seine breiten Schultern laden müssen; mehr, als ein Teenager hätte tragen sollen. Aber er hatte seine Pflicht klaglos auf sich genommen und seine Familie durch die schlimme Zeit nach dem Tod seines Vaters gebracht.
»Gefällt Ihnen, was Sie da sehen?« Raina kam mit zwei dampfenden Keramikbechern in den Raum zurück. »Diese Fotos sind für mich so etwas wie eine Familienchronik. Ich schaue sie mir oft an, einfach nur, um in Erinnerungen zu schwelgen.« Sie reichte Sloane einen Becher.
»Danke.« Sloane legte beide Hände darum. »Es müssen viele schöne Erinnerungen darunter sein.« Sie musterte ihre Gastgeberin verstohlen.
Sie hatte Raina erst ein Mal gesehen, trotzdem fiel ihr auf, dass sie heute erschöpft und elend wirkte. Unter dem dezenten Make-up schimmerte ihre Haut aschfahl. Eine entsprechende Bemerkung wäre unhöflich gewesen, aber Sloane begann sich Sorgen zu machen. »Sie haben drei wundervolle Söhne großgezogen«, setzte sie stattdessen die Unterhaltung fort.
»Jetzt sind sie erwachsene Männer.« Raina schüttelte den Kopf, als könne sie diese nicht zu leugnende Tatsache kaum fassen. »Die Zeit fliegt dahin. Zwei sind sogar schon verheiratet«, verkündete sie dann freudestrahlend.
»Heute Morgen habe ich Ihre Schwiegertochter Kendall getroffen«, sagte Sloane.
»Sie hat Ihnen bestimmt gefallen. Ihre Tante Crystal war eine meiner besten Freundinnen.«
»Wirklich?«
Raina nickte. »Crystal ist vor kurzem gestorben, und Kendall kam her, um sich um ihren Nachlass zu kümmern. Dann hat sie ihre Schwester Hannah zu sich geholt, und beide leben jetzt hier. Hannah kann ein richtiger Plagegeist sein, aber Rick und Kendall werden gut mit ihr fertig.« Der Stolz in ihrer Stimme war unüberhörbar. »Das Mädchen hat seinen eigenen Kopf und hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Genau so eine Enkelin habe ich mir immer gewünscht.«
»Weil sie Ihnen so ähnlich ist«, lachte Sloane.
»Stimmt haargenau.« Raina ging zur Couch hinüber. »Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich fühle mich ein bisschen schlapp, ich muss mich setzen. Kommen Sie.« Sie machte es sich auf der Couch bequem und bedeutete Sloane, in dem Sessel gegenüber des großen Glastischs Platz zu nehmen.
Sloane stellte ihren Teebecher auf einem Untersetzer ab
und setzte sich. »Hoffentlich lerne ich Hannah noch kennen, bevor ich nach Washington zurückfahre.«
»Wie lange wollen Sie denn hier bleiben?«, erkundigte sich Raina ohne die geringste Verlegenheit.
»Fragen Sie aus reiner Höflichkeit, oder wollen Sie wissen, wie viel Zeit Ihnen bleibt, um mich mit Chase zu verkuppeln?« Sloane grinste breit.
»Chase sollte sich schämen. Hat er wieder Geschichten über seine Mutter verbreitet?«
»Keine, die nicht der Wahrheit entsprechen«, tröstete
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