Für eine Nacht
Sloane sie. »Um ehrlich zu sein, ich weiß noch nicht genau, wie lange ich bleibe. Ich habe hier etwas Wichtiges zu erledigen und noch keine Ahnung, wie viel Zeit das in Anspruch nehmen wird.« Sie nippte an ihrem Tee.
»Mit mir können Sie ganz offen sprechen. Chase hat mich heute Morgen angerufen und mir Ihr Geheimnis anvertraut. Aber das wissen Sie sicher.«
Sloane nickte. »Und das macht mir die ganze Sache entschieden leichter.« Obwohl sie Chase unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, dass sie es nicht mochte, wenn er über ihren Kopf hinweg handelte, war sie froh, dass er ihr lange Erklärungen erspart hatte.
Trotzdem hatte sie es für geraten gehalten, ihm gleich von Anfang an klar zu machen, dass sie ihre Entscheidungen selbst zu treffen pflegte. Allerdings konnte sie nicht leugnen, dass sie sein manchmal recht despotisches Verhalten ungemein anziehend fand, wenn auch nur deshalb, weil es ihr bewies, dass ihm etwas an ihr lag.
Aber wie viel?
Oh, ihm lag genug an ihr, um mit ihr zu schlafen, und Sloane ließ ihn bestimmt nicht um Sex betteln. Aber für sie fiel dieser Sex in die Kategorie Liebe. Die Vorstellung, er könne
sein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein von seiner Familie auf sie übertragen haben und würde sie einfach ihrer Wege gehen lassen, sobald sie Samson gefunden hatte, war ihr unerträglich. Obwohl ihre Affäre auf genau dieses Ende hinauslief, brauchte sie die Bestätigung, dass sie ihm nicht gleichgültig war und er sie vermissen würde, wenn sie fort war.
»Sloane?« Raina war aufgestanden, neben ihrem Sessel niedergekniet und schnippte jetzt vor ihrem Gesicht mit den Fingern.
»Tut mir Leid, ich war mit den Gedanken weit weg«, entschuldigte sich Sloane zerknirscht.
»Schon gut. Ihnen geht bestimmt vieles im Kopf herum.« Raina sprang auf und umfasste dann die Sessellehne so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. »Raina? Alles in Ordnung?« Besorgt legte Sloane eine Hand über die ihre.
»Schon vorbei.« Raina richtete sich auf, ging zur Couch zurück und ließ sich schwer in die Polster sinken. »Es ist nur die alte Geschichte. Vor ein paar Monaten wurde bei mir eine Herzschwäche diagnostiziert.« Sie sah Sloane dabei nicht ins Gesicht, sondern ihr Blick wanderte zu den Fotos auf dem Bücherregal hinüber.
»Davon hat Chase mir gar nichts erzählt«, wunderte sich Sloane gleichermaßen verwirrt und besorgt.
»Weil er versucht, das Leben nach Möglichkeit in seinen normalen Bahnen verlaufen zu lassen.« Raina winkte ab. »Und das tut es im Großen und Ganzen ja auch. Aber Ihr Leben ist total durcheinander gebracht worden. Würde es Sie sehr überraschen, wenn ich Ihnen sage, dass ich schon bei unserer ersten Begegnung erraten habe, wessen Tochter Sie sind?«
»Allerdings!«
»Ich hatte keine Ahnung, dass sich Jacqueline und Samson damals nahe standen, aber sowie ich Sie sah, wusste ich, wen ich da vor mir habe. Sie sehen Ihrer Mutter so ähnlich«, murmelte Raina.
Sloane beugte sich vor. Endlich hatte sie einen Menschen gefunden, der ihr etwas über die Jugendjahre ihrer Mutter erzählen konnte. »Wie gut kannten Sie Jacqueline?«
»Wir haben jeden Sommer miteinander verbracht.« Raina rieb sich die Hände. Sie begann sich sichtlich für das Thema zu erwärmen.
»Also kannten Sie sie schon als junges Mädchen.«
Die ältere Frau nickte.
Sloanes Herzschlag beschleunigte sich. »Erzählen Sie mir von ihr? Die einzigen Geschichten, die ich kenne, stammen von meinen ... von Michael und Madeline, und die haben sie erst kennen gelernt, als sie schon achtzehn war.« Sie holte tief Atem. »Ich möchte gern wissen, wie sie war – ob wir etwas gemeinsam haben.«
Rainas Züge wurden weich. Obwohl ihre Augen haselnussbraun und die von Chase blau waren, glichen sie sich von der Form und vom Ausdruck her, stellte Sloane fest, besonders jetzt, da eine tiefe, von Herzen kommende Wärme in Rainas Augen lag. »Ihre Mom liebte den Sommer. Sie liebte es, sich im Freien aufzuhalten, und war immer heilfroh, wenn sie den Zwängen der Schule und ihres Elternhauses entfliehen konnte. Deswegen haben wir beide auch die meiste Zeit im Baumhaus hinter ihrem Haus verbracht.«
»In einem Baumhaus?«, fragte Sloane überrascht. »Nach all dem, was ich über meinen Großvater gehört habe, kann ich mir nicht vorstellen, dass er seiner Tochter ein Baumhaus gebaut hat.« Bei dem Gedanken rümpfte sie die Nase.
»Kluges Mädchen.« Raina lächelte. »Das Baumhaus befand
sich
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