Für immer in Honig
Begründungsproblemen interessierte Philosophen wie Kleinert wissen sich, was das Interesse an den Kategorien angeht, übrigens mit ihren Antipoden einig, das heißt denjenigen Philosophen des Fachs, die das »Fundamentale« mit einer an Richard Rortys Erkenntnistheorie-Askese erinnernden Verzichtsgeste für philosophisch entschieden weniger interessant erklären als die Art, wie mathematische Einzelerkenntnisse gewonnen werden und sich aus diesen dann ein Fortschritt im Wissen insgesamt ergibt. Der gegenwärtig mitreißendste Vertreter dieser »Überwinder« ist David Corfield, der das genannte Argument in seiner kürzlich erschienenen Studie »Towards a Philosophy of Real Mathematics« ( F.A.Z. vom 4. November) glänzend entwickelt und dabei mehrfach andeutet, das 21. Jahrhundert sei gut beraten, sich der Kategorientheorie mit demselben Eifer zu widmen, den das zwanzigste in die Mengenlehre investiert hat. Seine Zuneigung zu MacLanes und Eilenbergs Geschöpf hat ihn ein Gleichnis finden lassen, das es verdient, neben dem Baez / Dolanschen von den isomorphen Schafen zitiert zu werden: Mathematische Strukturen zu Staub zu zermahlen, das heißt als Menge ihrer Elemente anzuschauen, bevor man fragt, was sonst mit ihnen los ist, muß man nach Corfield eine architektonische Herzlosigkeit nennen: »Wenn man die Kathedrale von Notre-Dame betrachtet, fragt man sich gescheiter, wie sie sich zu anderen Kathedralen und sakralen Bauten verhält, statt damit anzufangen, sie sich als einen Haufen Mineralbrocken vorzustellen.«
Bevor das alles zu weit führt: Natürlich wird ein geduldiges und gewissenhaftes Mineralbrockenstudium letztlich die große Kirche erkennen; selbstverständlich gibt es außer Morphismen auch Objekte, neben Taten auch Sachen. Was aber, würde die Denkrichtung fragen, die Sie soeben kennengelernt haben, bedeutet dieser Umstand für Sie – was »ist« eine Sache für uns Menschen? Eine geronnene oder potentielle Tätigkeit, nichts weiter: Jemand hat diesen Text geschrieben, dann wurde er gedruckt, gleich werden Sie ihn gelesen haben. Was Sie dann damit anfangen, steht allerdings nicht drin.
F.A.Z. vom 22. November 2003
Appendix II
Nachbemerkung
Vor zehn Jahren ist »Cordula killt Dich!« erschienen. Darin wird die erste der vielen Geschichten erzählt, die ich von Cordula Späth seit 1987 erzählen wollte. Cordula Späth hieß sie 1987 noch nicht, alles andere war fertig, aber es dauerte dann, das aufzuschreiben.
Der Band von 1995 sollte der erste von sechsen sein. Das war in Anbetracht der inhaltlichen Fülle, die ich damals mehr aus Versehen als mit Absicht angezapft hatte, mein voller Ernst, formal aber trotzdem ein Witz – wer will denn über Jahre einem Plan folgen, der allenfalls im Nachhinein, als Ausgabe gesammelter Schriften eines Toten, zu rechtfertigen wäre? Ich hatte nicht vor, bald zu sterben.
Das Buch »Für immer in Honig« enthält fast alles, was in den sechs angekündigten Bänden hätte stehen können, außerdem Sachen, die über Cordula, um die seither fast mein ganzes Denken kreiste, sogar ein bißchen hinausdeuten. Die Arbeit an diesen abschließenden fünf Büchern in einem hat immerhin gut vier Jahre gefressen, neben alltäglicheren Tätigkeiten und Vergnügungen so gut wie meine ganze Frankfurter Allgemeine Freizeit vor und nach der Zeitung. Es gibt keine direkte, nur eine motivische Verbindung zwischen »Für immer in Honig« und »Cordula killt Dich!«.
Das hat den Vorteil, daß man das alte Buch nicht kennen muß, um das neue zu verstehen.
In »Für immer in Honig« steht vollständig, was im Rückblick auf alles, was ich seit 1994 gearbeitet habe, zu sämtlichen Dingen zu sagen war, die ich für wichtig halte, soweit es nicht schon in »Höhenrausch« und »Sie ist wach« steht.
Hier drin spielt die Musik – ausgewiesen und unausgewiesen. Die letztere in kurzer Auflistung: im neunten Kapitel »Addictive« von Truth Hurts, im zehnten einiges aus dem »Gutter Ballet« von Savatage, im fünfzehnten der Theme-Song des ganzen Buches, » Echo’s Answer « von Broadcast, im achtzehnten das erste Album von Le Tigre, im dreiundzwanzigsten »Blue Trail of Sorrow« von Alison Krauss & Union Station, im sechsundzwanzigsten das dialektische Doppel »Pro-Zombie« und »Anti-Zombie« von der Band, die sie Pferd nannten (Ihr dürft Die Ärzte sagen), im fünfunddreißigsten »Living on the Edge« von Aerosmith, im neunundvierzigsten »Heroes« von David Bowie, im
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