Für immer in Honig
Satzbestandteil »Der Abend, der es werden will« verzaubert hatte, fertigte Kraus den Skeptiker mit einem mehrseitigen sprachrichterlichen Bescheid ab, der in der Auskunft gipfelte, die göttlichen, dem Ursprung der Welt nächsten Sachverhalte erlaubten dem Partikelchen »es« den Sprung vom Füllsel zum Subjekt. Deshalb dürfe man zwar aus »Es lebe die Freiheit!« niemals »Die Freiheit, die es lebe!« machen, wohl aber könne man den »Abend« als etwas erkennen, das ein ewiges »Es« immer wieder werden will – auch beim »Es werde Licht« sei das Licht ja kein »nachfolgendes prädikatives Subjekt«, wie stumpfsinnige Grammatiker lehren, sondern Objekt des göttlichen Willens, der sich vor neugierigen Blicken im leicht zu übersehenden »Es« verberge. Lesen, warnte Kraus, könne dies bloß, »wer nicht auf das Letternbild starrt, sondern mit geschlossenen Augen den Weltenunterschied so winziger Räume zu durchmessen bemüht ist«.
Ein amerikanischer Pragmatiker sieht das natürlich anders: Der Architekt und Zukunftsdesigner Buckminster Fuller begegnete dem grammatischen Zwang mit einem konstruktiven Mißtrauensvotum und forderte eine Welt ohne Hauptwörter, in der man endlich einsieht, daß man nicht tut, was man will, sondern ist, was man tut: »Ich scheine ein Verb zu sein.« Das tat er, staunt man heute, lange vor allen diskursanalytischen oder dekonstruktiven Spitzfindigkeiten und lacanistisch »dezentrierten Subjekten«, lange vor den Untersuchungen des Philosophen Donald Davidson, der sich mit Geduld und Dialektik um die Ausarbeitung einer »Ereignisontologie« bemüht hat, lang vor J. L. Austins »Sprechakttheorie«, die das Sprechen statt der Struktur Sprache fokussiert, und schließlich mehrere Jahrzehnte bevor das kühnere soziologische Denken zugunsten von Kommunikation und Konstruktion Schluß machte mit dem »Dingschema« (Niklas Luhmann).
Fuller sah das Universum als Prozeß statt als Setzkasten, ließ deshalb den bestimmten Artikel weg – redete also von »universe« statt »the universe« – und vermutete dreist: »Auch Gott ist ein Verb.« Karl Marx, der sich über wenig je gewundert hat, wäre freilich auch damit nicht zu überraschen gewesen: 1845/46 schon schrieb er in seinen »Thesen über Feuerbach«, der Hauptmangel jedes bisherigen Materialismus sei gewesen, daß er sich die Welt als eine der fetischisierten Sachen gedacht habe – der Waren, wird er später präzisieren – statt als »sinnlich-menschliche Tätigkeit, Praxis«.
Exakte Forscher dürfen sich solchen Haarspaltereien nicht hingeben, möchte man mutmaßen. Man läge falsch damit. Zumindest im vergangenen Jahrhundert stammten zwei der bedenkenswertesten Angriffe aufs blinde »Es« und sein verflixtes Dingschema aus zwei an Exaktheit schwerlich zu überbietenden Denkgebieten: der Linguistik und der Mathematik, genauer, der strukturalen Syntax und der Kategorientheorie. Der wenig bekannte Sprachwissenschaftler Lucien Tesnière (1893 bis 1954) feuerte die erste dieser Salven ab, als er sein Modell einer »Dependenzgrammatik« schuf. Deren Kerngedanke lautet: Das Verb regiert die Sätze. »Cordula schreit.« Der übergeordnete Term ist für Tesnière »schreit«, er nennt ihn deshalb das »Regens«, die Frau »Cordula« aber das »Dependens«. Ein Regens kann nach Tesnière mehrere Dependentien regieren. Im Satz »Mein alter Freund singt ›Bandiera Rossa‹, dieses schöne Lied des antifaschistischen Widerstands« sind damit der Freund, die rote Fahne, das Lied und der Widerstand allesamt dem »Singen« unterworfen, wie sich’s bei so schönen Liedern gehört. Tesnière untersuchte nicht nur das Französische; er sprach mehrere Sprachen. Ein gewisser indoeuropäischer Schwerpunkt, heute gern gegeißelter »Ethnozentrismus« also, ist seiner Ende der dreißiger Jahre ausgearbeiteten Theorie indes inhärent. Interessant bleibt dennoch, daß überhaupt irgendeine wirklich gesprochene und damit ja zwingend proteushaft regsame Sprache mit derlei Mitteln aufzuschlüsseln ist.
Mit weitaus radikaleren gelang runde zehn Jahre später etwas Ähnliches in der Mathematik, als die sogenannte »Kategorientheorie« entwickelt wurde. Die für Laien einfachste, wenn auch alles andere als saubere Herangehensweise an ihren begrif flich en Apparat bedient sich des Behelfs eines Vergleichs mit der Mengenlehre. Wie jede Menge ihre Elemente hat, haben Kategorien »Objekte«, wo die Mengenlehre »Funktionen« kennt, hat die
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