Für immer in Honig
wird leiser gedreht.)
F: Du hast recht. Das ist richtig unheimlich, wie schön das ist. Ein Ab gesang auf Erhabenes. Wehmut ist Hoffnung und umgekehrt, ganz eigen.
J: Aufs amerikanische Jahrhundert, würde ich sagen. Und ich muß es wissen, ich war dabei. Ganz vorne, teilweise.
F: Und du kommst klar? Mit der linken Hand, wo jetzt die beiden Finger fehlen?
J: Klar. Ich brauch’ sie nicht mal zum Wichsen, weißt du. Außerdem habe ich ja dich dabei.
F: Vielen Dank.
J: And a homecoming queen.
F: Wo sind wir denn eigentlich?
J: Wir sind schon fast in Frankfurt. Schau mal, der Mond!
EIN S : OBJEKTE
oder
Wo wir alle herkommen
und wie man nicht kämpft
»Gates open on the dark, dark night« Motörhead; Deaf Forever
ERSTES KAPITEL
Hab’ ein Gesicht, das ich nicht zeigen kann • Gründe und Anlässe • Beate Eich zieht um • Eine Rennerei
1 Bis Freddy kam, saß Beate häufig nachts allein da, teuer angezogen, in einer Bar, mit dem Alkohol.
Niemand traute sich, sie anzusprechen. Ihr kam das ganz richtig vor: Sehr wenige Frauen in ihrem Beruf hatten einen. Oder eine. Oder überhaupt was, außer diesen Beruf, und entsprechend viel Geld sowie Kram, den man sich dafür kaufen konnte. Mit einem leicht vermuffelten Anflug von Wehmut dachte sie manchmal an ihren schönen Tisch, damals, als sie anderthalb Jahre in Amerika gelebt hatte, weil da die Geschäfte besser gingen: Glasplatte auf Bronze, acht Gäste hätten drum herum gepaßt, Silas Seandel Studio, 551-3 West 22nd Street, New York, NY 10011. Schön war der gewesen, wie die Woodmode-Küche mit den dunklen, duftenden Schränken, der Ahornschreibtisch im Arbeitszimmer, die körperangepaßte Techno-Scout-Matratze, der riesige schwarze Flachbildschirmfernseher, die Waverly-Tapeten, die Andrew-Marc-Ledersachen, die meistens an der Garderobe im Flur hingen, weil sie so was kaum anzog.
»Scheiße, ich hatte sogar ein Tigerfell vor dem Sofa. Wahnsinn«, flüsterte sie, und lächelte, weil ihr gefiel, daß nichts davon geblieben war. Je vergänglicher der Reichtum, desto reicher fühlt er sich im Rückblick an. Wann werden wir frei sein?
Hinter den schönen Farben der teuren Alkoholika sah der Zustand, in dem sie sich inzwischen befand, das Leben in Bars, die Erinnerungen an ein Luxusleben, das gerade mal drei Jahre zurücklag, würdig aus, melancholisch, auf jeden Fall selbstgewählt: Ach Gott, fühle ich mich wieder höllisch alt heute abend. Da kann ich dann nachher in der Wohnung wieder weinen, still für mich und schön, Tränen der Wut wahrscheinlich, ich muß mich nicht schämen. Hätte ich einen, oder eine, oder überhaupt was, außer diesen Beruf, könnte ich meinem Lebensabschnittsgehilfen, meiner Daseinsbegleiterin, irgendeinem Kind und Kegel sowieso nicht erklären, worum es geht. Niemand wäre stark genug, mit mir meinen Verrat zu tragen.
Nichts ist wahr und nichts ist richtig, also bin ich heute nacht allein. Außerdem habe ich schon mit siebzehn mit zwei Typen gleichzeitig gevögelt. Ein junger Exzeß prägt fürs Leben, besser kommt’s nicht mehr, da kann man später ruhig mal abstinent beziehungsweise einsam sein. Er oder sie würde sowieso nur versuchen, mich zu ändern, und das geht gar nicht. Ich habe ein Gesicht, das ich ihm oder ihr nie zeigen könnte, ich muß die Regeln selber machen, während ich mich durchwurstle, also bitte, mir ist es eigentlich egal, ich schlage mit Fäusten auf die Geschichte ein, um es ihr zurückzuzahlen.
So dachte sie. Dazu konnte sie Teures trinken; manchmal war das an die hundert Jahre alt.
Dann kam Freddy.
Fred Jochen Schörs, den sogar seine Eltern Freddy nannten, seit er sich Ende der Achtziger beim Queen-Sänger Mercury den Oberlippenbart abgeguckt hatte, war ein absurd gutaussehender Mann. Er hätte nicht schön sein sollen: Wer sich die schwarzen Haare so ölig nach hinten gelt, wer sich solche Hemden anzieht, wer ein so markant knochiges Gesicht mit so deutlich eingekerbten Wangen spazierenführt und die engstmöglichen schwarzen Jeans zu taubenweißen Adidas-Turnschuhen trägt, als wären Fleetwood Mac, REO Speedwagon und Foreigner immer noch die Herrscher des Morgenradios, den dürfte Anfang des neuen Jahrtausends niemand schön finden, schon gar keine Frau wie Beate.
Und doch: Ein romantischer junger Heldendarsteller war das, den Friedrich Schiller rollengerechter nicht bei Amazon.com hätte bestellen können. Seht her, der hier schlägt Drachen tot, wenn es sein muß, steht in der S-Bahn
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