Für immer in Honig
die Operationen der Arithmetik aus der längst nicht mehr bewußten Dekategorisierung der Kategorie »endliche Mengen« entstanden sind, heißt es jetzt umzukehren – die verlorene Lerngeschichte nicht nur des Zahlensinns ist zu entdecken.
Die Geburtsstunde des Großversuchs dazu fiel ins Jahr 1945 und in den Kontext der algebraischen Topologie. »Topologie« befaßt sich mit geometrischen Objekten, die man sich etwa als Punktmengen vorstellen kann, nämlich mit deren Verformungen ohne Brüche oder Zerreißen, also »stetigen« Transformationen. Von Interesse sind dabei diejenigen Eigenschaften der Objekte, die unter solchen Veränderungen gleichbleiben. »Algebraische Topologie« ist folglich die Untersuchung dieser Eigenschaften mit den Werkzeugen der Algebra. In der historisch so überaus fruchtbaren Arbeit von Samuel Eilenberg und Saunders MacLane mit dem Titel »Allgemeine Theorie der natürlichen Äquivalenzen«, die das kategorientheoretische Rüstzeug entwarf, ging es um die Definition der von diesen beiden eingeführten »natürlichen Transformationen« mit Hilfe des aus reicher aristotelischkantischer Tradition entnommenen Ausdrucks »Kategorie«. Den »Funktor« führten sie praktischerweise gleich mit ein, das Wort stammt vom Logiker und Philosophen Rudolf Carnap.
1950 erarbeitete die eine Hälfte des Gründerväterpaars, MacLane, mit den neuen Werkzeugen dann eine pfeiltheoretische Definition dessen, was man unter einem »Produkt« versteht. Das war ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur Schule der »kategorientheoretischen Konzeptualisten« (David Corfield), die etwa in Gestalt eines ihrer klügsten Wortführer, William Lawvere, einen mathematischen Weltzugang lehrt, der von den Ideen Galileis über Raum, Zeit und Bewegung bis zur Frage, wie man Personen bei einem Gastmahl Tische und Mahl zeiten zuordnet, eine inzwischen unübersehbar große Anzahl prakti scher und theoretischer Fälle unter die Anschauungsform der »Multiplikation von Zeug« subsumiert – einen leicht faßlichen Abriß hiervon bietet der 1991 erschienene Band »Conceptual Mathematics – A First Introduction to Categories« von Lawvere und Stephen H. Schanuel. 1957 veröffentlichte der französische Mathematiker Alexandre Grothendieck seine Untersuchung »Über einige Punkte der homologischen Algebra« und benutzte von da an Kategorien ausgiebig dazu, zahlreiche Herkulesarbeiten auf diesem Feld zu bewältigen. Ein Jahr später stellte D. M. Kan der Wissenschaft seine Idee der »adjungierten Funktoren« zu Verfügung, eine Konstruktion aus zwei Funktoren und natürlichen Transformationen, welche zueinander in einem in Prosa kaum nachzuerzählenden Verhältnis stehen, das es aber jedenfalls erlaubt, allerlei mathematisches Dickicht aufzuklären: »Adjoint functors arise everywhere« (MacLane).
Die von Lawvere und anderen favorisierte Vorstellung, die Sprache der Kategorien könnte sehr viel mehr als ein Hilfsmittel algebraischer Topologen, nämlich am Ende eine neue lingua franca universalis der Gesamtmathematik sein, kulminierte schließlich in der Lehre vom »Topos«. Dieses Wort meint einerseits einen verallgemeinerten topologischen Raum, andererseits eine Kategorie mit besonders reicher, vielseitige modellhafte Konstruktionen von Strukturen aus allen Zweigen der Mathematik erlaubender logischer Struktur. Zu den heute relevanten Anwendungen und Weiterungen der Kategorientheorie gehören etliche in den Computerwissenschaften, etwa zur mathematisch-maschinellen Semantik, und in der Physik, vor allem bei der Konstruktion ehrgeizig-vereinheitlichender topologischer Quantenfeldtheorien (mehr dazu erfährt man unter www.math.ucr.edu/home/baez). Die »Anwendung« endlich, die zu diskutieren hier noch aussteht, obwohl sie doch, wir erinnern uns, den Grund dafür stellt, den ganzen Zauber in dieser Zeitung auszubreiten, ist die philosophische, nämlich das der Kategorientheorie implizite Bild von den mathematischen Universalien. Die kategorientheoretisch inspirierte Logik, meint Ernst Kleinert, »schickt sich an, bisher kaum mathematikfähige Teile des sprachlichlogischen Agierens zu erobern. Bei der Verteilung von Prädikaten auf verschiedene Sorten von Objekten, der Subsumtion von Einzel- und Sammelbegriffen, bei der Semantik von Eigennamen, in den verschiedenen Formen des Syllogismus wirken universelle Prozeduren, die ihre denkbar natürlichste Darstellung in kategorialen Begriffen finden.«
An Grundlegungs- und
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