Fuer immer vielleicht
ihre Reaktion ruft unweigerlich einen Dominoeffekt hervor. Ich hab meine Mutter noch nie so viel weinen sehen wie jetzt. Das macht mir Angst, und ich muss auch weinen, was wiederum Katie Angst macht und sie zum Weinen bringt. So weinen wir alle drei um die Wette.
Dad hätte ewig leben sollen. Er war derjenige, der an jeder Dose den Deckel aufschrauben konnte, auch wenn alle anderen schon aufgegeben hatten, er konnte alles reparieren … wir brauchen ihn einfach. Er hat mich auf seine Schultern gesetzt, ich durfte auf seinen Rücken klettern, er hat für mich das Gruselmonster gespielt, mich hochgeworfen und wieder aufgefangen, mich durch die Luft gewirbelt, bis mir schwindlig war und ich vor Lachen fast umgefallen bin.
Und am Ende konnte ich ihm nicht mal danke sagen, ich hab mich gar nicht richtig von ihm verabschiedet, und meine letzten Erinnerungen an ihn haben mit Sarggrößen und medizinischen Formularen zu tun.
Ich bin noch bei Mum in Galway. Im irischen Wilden Westen sozusagen. Aber wir haben einen schönen Sommer, was sich irgendwie nicht richtig anfühlt. Die Atmosphäre passt nicht zur Stimmung, Kinderlachen tönt vom Strand herauf, Vögel singen und sausen über den Himmel, stoßen herab und fangen sich im Meer eine frische Mahlzeit. Es fühlt sich irgendwie falsch an, die Welt zu lieben und so viel Schönheit zu sehen, nachdem etwas so Schreckliches geschehen ist.
Es ist, wie wenn man bei einer Trauerfeier in der Kirche plötzlich leise, fröhliche Babylaute hört, ein unschuldiges Gurren an einem Ort, an dem alle anderen trauern. Es erinnert einen daran, dass das Leben weitergeht, weiter und immer weiter, nur nicht für denjenigen, von dem man sich verabschiedet. Menschen kommen und gehen, das wissen wir, aber wenn einer uns verlässt, dann ist es trotzdem ein Schock. Um das alte Klischee zu bemühen: Das einzig Sichere im Leben ist der Tod. Er ist unvermeidlich. Wenn wir leben wollen, müssen wir uns damit abfinden, dass wir sterben werden, das ist die Bedingung. Und damit werden wir oft nicht gut fertig.
Ich weiß nicht, was ich Mum sagen oder was ich für sie tun kann. Vermutlich gibt es nichts, wodurch sie sich momentan besser fühlen würde, aber es bricht mir das Herz, wenn ich sehe, wie sie vor sich hin weint. Ich höre ihren Schmerz. Aber vielleicht sind ihre Tränen eines Tages einfach erschöpft.
Alex, du bist Herzspezialist. Du kennst das Herz buchstäblich in- und auswendig. Gibt es eine Möglichkeit, ein gebrochenes Herz zu heilen?
Danke, dass du zur Beerdigung gekommen bist, es hat so gut getan, dich zu sehen. Schade, dass es unter diesen Umständen sein musste. Es war auch schön, dass deine Eltern da waren, Mum war das sehr wichtig. Danke auch, dass du Dingsbums einfach weggeschickt hast; ich war wirklich nicht in der Stimmung, mit ihm zu sprechen. Ich finde es gut, dass er gekommen ist, obwohl es Dad wahrscheinlich nicht gefallen hätte.
Stephanie und Kevin fahren in ein paar Tagen wieder heim, aber ich bleibe noch eine Weile hier. Ich kann Mum nicht alleine lassen. Die Nachbarn kümmern sich wirklich rührend um sie, wenn ich gehe, weiß ich wenigstens, dass sie gut aufgehoben ist. Ich hab alle meine Prüfungen sausen lassen, und wie es aussieht, muss ich das ganze letzte Jahr wiederholen, wenn ich den Abschluss machen will. Ich glaube nicht, dass ich mich dazu aufraffen kann.
Jedenfalls kann ich nicht mehr allzu lange hier bleiben, denn zu Hause stapeln sich bestimmt die Rechnungen in meinem Briefkasten. Ich muss zurück, bevor Strom und Wasser abgestellt werden und man mich rausschmeißt.
Danke, dass du wieder mal für mich da warst, Alex, es ist irgendwie typisch für uns, dass wir uns bei einem so traurigen Anlass wieder sehen.
Alles Liebe,
Rosie
*
Von: Rosie
An: Alex
Betreff: Dad
Ich bin gerade aus Connemara zurückgekommen und wurde von einem überquellenden Briefkasten begrüßt. Unter dem ganzen Zeug befand sich auch folgender Brief, der am Tag vor Dads Tod aufgegeben worden ist.
Liebe Rosie,
deine Mum und ich lachen immer noch über deinen letzten Brief und die Geschichte mit Katies Tattoo. Ich finde es wunderbar, wenn du uns schreibst! Ich hoffe, inzwischen hast du das Trauma einigermaßen überwunden. Aus deiner kleinen Tochter ist eben jetzt ein ausgewachsener Teenager geworden! Ich erinnere mich noch gut daran, wie es bei dir so weit war. Ich glaube, es hat dich sogar früher erwischt als Stephanie! Du hattest eben schon immer Spaß an neuen
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