Fuer immer zwischen Schatten und Licht
Sagengestalt, aber …“, er schaute unsicher zu Sam hinüber, „manchmal werden Mythen wahr.“
Ich verdrehte die Augen. „Oh ja, das kann ich durchaus bestätigen.“
„In diesem Fall hätte ich es wirklich vorgezogen, wenn es verdammt nochmal ein Mythos geblieben wäre“, meinte Sam finster. „Auch wenn das bedeutet hätte, dass ich für immer dort unten hätte schmoren müssen.“
„Warte mal.“ Ich hob die Hand und gab mir alle Mühe, in der kurzen Gesprächspause das Chaos in meinem Kopf ein wenig zu ordnen. „Soll das etwa bedeuten, dass dieser, ähm, Dämonenengel dich freigelassen hat?“
„Natürlich nicht“, schnaubte Sam und warf Rasmus einen Blick zu, der ziemlich deutlich besagte: Sie ist deine Freundin! „Ich war nur zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Wie du dir vielleicht vorstellen kannst, hatte ich gewisse Schwierigkeiten, mich dort unten einzuleben. Deswegen habe ich mich so viel wie möglich in der Nähe der Tore aufgehalten, und als sich eines davon einen Spaltbreit geöffnet hat, bin ich in der irdischen Welt gelandet. Das alles passierte so schnell, dass ich zuerst gar nicht kapiert habe, was los war. Und weil mir niemand gefolgt ist, gehe ich davon aus, dass sich das Tor schon wenig später wieder geschlossen hat.“
„Konntest du wenigstens sehen, wer der Typ war?“
„So funktioniert das nicht“, kam Rasmus der Beleidigung zuvor, die Sam anscheinend bereits auf der Zunge lag. „Der Abaddon ist dazu in der Lage, die Grenzen zwischen den Welten zu durchstoßen, ohne anwesend zu sein. Im Vollbesitz seiner Kräfte könnte er die Schutzmauern sogar dauerhaft niederreißen, aber so weit ist es zum Glück offenbar noch nicht.“
„Ihr hättet es ja wohl gemerkt, wenn es hier vor Dämonen und Engeln wimmeln würde“, sagte Sam. „Oder auch nicht. Wahrscheinlich wären wir dann bereits mausetot – zumindest, wenn man den Geschichten von damals Glauben schenken kann.“
„Damals?“, wiederholte ich, und meine Stimme wurde ein wenig schrill. „Willst du damit sagen, dass so etwas schon einmal passiert ist?“
Mit schief gelegtem Kopf beobachtete mich Sam dabei, wie ich mit den Informationen zurechtzukommen versuchte, die auf mich einprasselten. Seine lauernde, ja hämische Miene erinnerte mich auf widerwärtige Weise an den Moment im Steinbruch, als er mir sein wahres Gesicht gezeigt hatte. „So erzählt man sich wenigstens“, sagte er sanft. „Ich kann nicht behaupten, dass die Überlieferungen besonders detailreich oder verlässlich wären. Allerdings noch bei Weitem verlässlicher als das hübsche kleine Märchen, in das ihr Menschen den Krieg zwischen Schatten und Licht verpackt habt. Ich nehme doch an, dass dir der Begriff Sintflut etwas sagt?“
„Gottes Strafe für die Verfehlungen der Menschen?!“
„In Wirklichkeit könnt ihr gar nichts dafür“, erklärte Sam gönnerhaft. „Das haben wir euch bloß nachträglich in die Schuhe geschoben.“
Rasmus seufzte. „Samael will sich nur wichtigmachen, weder er noch ich waren dabei. Erst lange nach diesem Krieg wurden wir von den Überlebenden erschaffen, weil ein Großteil der Engel vernichtet worden war. Auch auf Seiten der Dämonen muss es viele Tote gegeben haben, und die Geschichte von der Sintflut soll wohl die große Zahl der menschlichen Opfer verdeutlichen. Jetzt verstehst du sicher, warum den Richtern so viel daran liegt, die Welten getrennt zu halten, und warum meine Besuche hier so streng geahndet wurden. Die irdische Welt ist wie ein Puffer zwischen Schatten und Licht, der verhindern soll, dass es wieder zu einer solchen Katastrophe kommt.“
Mein Magen zog sich zusammen, als ich mir das vorstellte: übernatürlich schnelle und starke Wesen, die sich bis auf den Tod bekämpfen … und die Menschen irgendwo dazwischen. Zum ersten Mal an diesem Abend begann auch ich zu frösteln. Ich schob die Ärmel meines Strickpullovers über meine Hände und suchte Rasmus‘ Blick, in der Hoffnung, darin Zuversicht oder Unglaube zu finden – hatte er nicht selbst gesagt, dass es sich bei all dem nur um eine Legende handelte? Stattdessen warfen mir seine Augen jedoch dieselbe Beklommenheit zurück, die auch in mir hochzusteigen begann.
„Aber wieso?“, brachte ich mühsam hervor. „Was hat der Abaddon davon, wenn Engel und Dämonen einander bekriegen?“
„Macht“, antwortete Sam achselzuckend. „Der Abaddon kann sich frei durch Licht, Schatten und die irdische Welt bewegen, ist aber
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