Fuer immer zwischen Schatten und Licht
mochte die etwas spröde Jane, die weder hübsch noch reich noch besonders charmant war, aber all das durch ihre Klugheit wettmachte – und natürlich war ich Feuer und Flamme für die hürdenreiche Romanze. Als Professor Scott gegen Ende der Stunde fragte, welche Szene uns am meisten beeindruckt hätte, erinnerte ich mich gleich an Mr. Rochesters erstes richtiges Liebesgeständnis an Jane: Du bist meine Sympathie, mein besseres Ich, mein guter Engel … Doch Jinxy stand im Gegensatz zu mir offenbar nicht kurz vorm Dahinschmelzen, sondern vorm Explodieren. Sobald die Pausenglocke schrillte, galoppierte sie aus dem Klassenzimmer, und mir blieb nichts anderes übrig, als ihr im Laufschritt zu folgen. Dabei wäre ich fast in zwei meiner Mitschülerinnen hineingerannt, die sich ebenfalls auf dem Weg zu den Schließfächern befanden. Die beiden betrachteten mich herablassend, und es schien mehrere Sekunden zu dauern, bis sie mich überhaupt erkannten. Dann aber erleuchtete ein zuckersüßes Lächeln ihre Gesichter.
„Was ist eigentlich mit Rasmus los?“, fragte die Dunkelhaarige von den zweien, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten. „Wir vermissen ihn im Unterricht!“
„Und vor allem vermissen wir seinen Unterricht“, fügte ihre rotblonde Freundin hinzu, die mir schon bei meinem peinlichen Stunt in der Cafeteria aufgefallen war.
„Er hat eine Allergie gegen euer Geschleime entwickelt und muss eine Woche lang das Bett hüten“, unterbrach Jinxy und grapschte nach meiner Hand. „Los, komm mit!“
Unter dem entrüsteten Tuscheln der beiden Mädchen zerrte sie mich in eine Fensternische, die normalerweise von küssenden Pärchen genutzt wurde.
„Jetzt pass mal auf, es geht um eure Suche nach diesem Weltenwandler“, legte sie sofort los. „Ihr habt doch bisher nur in Bibliotheken recherchiert. Bibliotheken! Wo sind wir denn hier, in Hogwarts? Aber das ist wohl zu erwarten, wenn sich zwei uralte Engel und eine lesesüchtige Streberin zusammentun.“ Sie grinste mich an. „Nichts für ungut.“
„Worauf willst du eigentlich hinaus?“, wollte ich wissen.
Obwohl sie es vorhin so eilig gehabt hatte, mit mir zu reden, machte Jinxy nun eine Kunstpause. Dann verkündete sie feierlich: „Lily, es gibt da etwas, das nennt sich Internet.“
„Oh, ich weiß. Das ist das, was du immer benutzt, um mir Videos von niesenden Pandababys und hinterhältigen Katzen zu schicken.“
„Stimmt.“ Versonnen lächelte Jinxy vor sich hin, aber dann gab sie sich einen Ruck. „Okay, weiter im Text. Ich habe also gestern Nacht beschlossen, unser Problem in die fähigen Hände von Google zu legen. Dafür musste ich nur die Zeichen aus dem Buch einscannen …“
„Warte mal“, unterbrach ich sie verwirrt. „Wieso hattest du das Buch bei dir?“
„Weil ich es dir geklaut habe, was denkst du denn?“
„Natürlich. Sprich ruhig weiter.“
Diesmal ließ sich meine Freundin nicht lange bitten. „Ja, jedenfalls habe ich die Zeichen eins nach dem anderen durch die Google-Bildersuche gejagt.“
„Wie, eins nach dem anderen? Wie oft hast du das denn gemacht?“
„Hat schon eine Weile gedauert“, räumte sie ein. „Du weißt es vielleicht noch nicht, aber ich kann ganz schön hartnäckig sein.“
„Ach was.“
„Ja, im Ernst“, bestätigte sie, ohne sich aus dem Konzept bringen zu lassen. „Und irgendwann bin ich fündig geworden.“
Augenblicklich war meine leichte Genervtheit verschwunden. „Du meinst, du hast eine Übersetzung entdeckt?“, fragte ich, und mein Herz schlug schneller.
„Nicht direkt. Aber wahrscheinlich hilft es uns trotzdem weiter, das fühle ich im kleinen Zeh! Am besten, ich komme nach der Schule zu dir, damit du es selbst beurteilen kannst.“ Sie machte ein geheimnisvolles Gesicht, und ich wusste, dass sie nichts mehr verraten würde. Sowieso mussten wir uns jetzt beeilen, wenn wir uns nicht zur Lateinstunde verspäten wollten.
Während wir bereits in Richtung des Klassenzimmers hasteten, fügte Jinxy hinzu: „Lade doch Rasmus und den Möchtegern-Herkules ein, schließlich geht es die beiden auch was an!“
Ohne zu zögern holte ich mein Handy hervor und tippte im Laufen eine kurze SMS. Ich versuchte, sie möglichst unspektakulär zu formulieren, um keine falschen Erwartungen zu wecken … aber mich selbst ließ die Hoffnung den ganzen Vormittag lang nicht mehr los.
***
Ich hatte Rasmus und Sam für sechzehn Uhr eingeladen, sodass es für Jinxy und mich noch ein
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