Fuer immer zwischen Schatten und Licht
hingen, und rubbelte sich soeben mit einem Handtuch die Haare trocken.
„Lily!“, sagte er perplex, als er mich entdeckte. „Wenn ich gewusst hätte, dass du so früh kommst, hätte ich …“, hier schien er sich wieder zu fangen und schloss spöttisch: „… auch die Hose weggelassen.“ Die Überraschung verschwand aus seinem Gesicht und wurde von einem Ausdruck abgelöst, der ein Kribbeln in meinem Inneren hervorrief. Mit zwei langen Schritten war er bei mir und schaute auf mich herunter. „Schön, dass du da bist.“
„Hallo“, murmelte ich, während meine Hände zu seinem Oberkörper wanderten. Rasmus war immer noch so gebaut, dass jeder ihn für einen regelmäßigen Besucher im Fitness-Studio gehalten hätte, aber er war in den vergangenen Monaten doch schmaler geworden, sodass ich seine Rippen ertasten konnte. Ich fuhr über seine glatte Haut, die eine fast fiebrige Wärme ausstrahlte, und verschränkte dann die Finger hinter seinem Rücken.
„Ziemlich heiß“, rutschte es mir heraus, bevor ich den genauen Wortlaut überdenken konnte.
Rasmus‘ Mund verzog sich zu einem Grinsen. „Wem sagst du das.“
„Nein, so hab ich das nicht … also, das auch, aber“, ich räusperte mich, „ich meinte eigentlich deine Körpertemperatur. Geht‘s dir gut?“
„Und wie.“ Er umschlang mit einem Arm meine Taille und legte mir die freie Hand an die Wange – eine beschützende Geste, die gar nicht zu seinem frechen Tonfall passte. Nach der unvernünftigen Panik, die mich zuvor überwältigt hatte, fühlte ich mich in seiner Nähe so geborgen, dass sich die Frage wie von selbst ihren Weg nach draußen bahnte:
„Rasmus? Was du gestern über Sam gesagt hast … ist es denn wirklich ausgeschlossen, dass er zurückkehrt?“
Ich konnte spüren, wie sich seine Muskeln anspannten. Trotzdem klang seine Stimme ruhig, als er antwortete: „Ja, hundertprozentig. Nachdem Samael zum zweiten Mal beinahe den Tod eines Menschen verursacht hätte, wurde ihm der Status als Lichtwesen aberkannt, und er gehört nun offiziell zu den dämonischen Bewohnern der Schattenwelt. Die Verbannung dorthin ist endgültig, es gibt keinen Weg heraus.“ Jetzt löste er sich von mir, um in mein Gesicht zu sehen. „Warum fragst du?“
„Ach, nur so“, erwiderte ich hastig und versuchte ihn wieder näher an mich heranzuziehen. Auf einmal kam mir meine Sorge unendlich dumm vor – ein Produkt meiner überreizten Nerven, weiter nichts. „Es interessiert mich einfach, wie das bei euch so abläuft, verstehst du?“
Nicht unsanft, aber doch bestimmt hielt Rasmus mich weiterhin auf Abstand, während sich der Blick seiner dunklen Augen in meine bohrte. Seine Brauen hatten sich ein klein wenig zusammengeschoben, und ich begann unbehaglich, mein Gewicht von einem Bein auf das andere zu verlagern.
„Oder“, fragte er zögernd, als wollte er jedes seiner Worte abwägen, „ist es vielleicht … weil du ihn vermisst?“
Obwohl ich geahnt hatte, dass es sich hierbei um ein heikles Thema handelte, traf mich das wie aus heiterem Himmel. „Natürlich nicht! Ich meine – wie könnte ich …“
„Lily“, unterbrach er mich, „ich versteh schon. Du warst mit ihm befreundet und alles. Ist bestimmt schwer, das zu vergessen. Aber ich will nur, dass du auch daran denkst, was er dir angetan hat. Was er uns beiden angetan hat.“
Hitze kroch in meine Wangen, und ich schaute beschämt auf meine Füße. Wie hatte ich nur so selbstsüchtig sein können, Sam überhaupt zu erwähnen? Immerhin hatte er mich nicht nur entführen und foltern lassen, sondern auch alles daran gesetzt, Rasmus ein ewiges Dasein in der Hölle zu bescheren! Es wurde wirklich Zeit, dass ich mit der Vergangenheit abschloss und aufhörte, andere mit meiner blühenden Fantasie zu belästigen.
„Ist schon gut“, sagte ich und bemühte mich dann um einen möglichst raschen Themenwechsel. „Hast du Lust, was zu essen? Ich hab uns ein paar Burritos mitgebracht.“
In einem Tempo, das Jinxy auf der Jagd nach Schokomousse alle Ehre gemacht hätte, schnappte mir Rasmus die Papiertüte weg und steckte eine Sekunde später bis zu den Ellenbogen darin. „Hast du? Oh Mann, Lily, danke! Ich bin sowieso am Verhungern. Und dann auch noch mit Guacamole – ich liebe dich!“
Mit nur einem Bissen verschlang er die Hälfte eines Burritos, während ich wie vom Donner gerührt dastand. Es kam mir so vor, als wären seine Worte mit Gas gefüllte Luftballons, die um meinen Kopf schwebten
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