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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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fragte die Astachowa hastig und fast im Flüsterton.
    »In einem Haus in Wychino. Die Wohnungsinhaberin ist eine ältere, psychisch kranke Frau. Ihr Neffe wohnte als intimer Freund
     bei ihr. Allerdings nicht lange. Nur siebenTage. Dann verschwand er offenbar in so großer Eile, daß er die Waffen und die Drogen dort ließ.«
    »Wychino?« fragte die Astachowa bedächtig.
    Einen Augenblick lang tat sie dem Hauptmann leid. Ihr glattes, gepflegtes Gesicht wurde unter der dünnen Puderschicht aschgrau.
    »Ja, Soja Anatoljewna. Genau in dem Haus, in dem Viktor Godunow bei einem Brand umkam. Und Ihr Neffe ist ausgerechnet in dieser
     tragischen Nacht verschwunden. Also, wann haben Sie ihn das letztemal gesehen?«
    »Wen?« Sie starrte den Hauptmann stumpf an und blinzelte hastig, als habe sie plötzlich einen nervösen Tick.
    »Soja Anatoljewna, geht es Ihnen nicht gut?«
    »Ich bin in Ordnung«, sagte sie ganz langsam, »entschuldigen Sie. Ich mache mir nur Sorgen um meinen Neffen. Er ist sehr krank.
     Psychisch krank. Sie wissen natürlich, daß er zehn Jahre wegen Mordes gesessen hat.«
    »Und was hat er danach gemacht?«
    »Gearbeitet.«
    »Wo?«
    »Zu Hause. Bei sich zu Hause. Ich habe ihm eine Einzimmerwohnung gekauft.« Ihre Stimme klang dumpf und monoton, wie ein Tonband,
     das zu langsam lief. »Anton hat gestrickt.«
    »Entschuldigung, was hat er?«
    »Er hat gestrickt. Zuerst per Hand, dann mit der Maschine. Ich habe ihm eine japanische Strickmaschine gekauft. Er hat sehr
     schöne Pullover, Jacken und Kleider gestrickt. Diesen Pullover hier auch.«
    »Hat er Drogen genommen?«
    »Hin und wieder.«
    »Was heißt hin und wieder? Sie sind doch Ärztin, Soja Anatoljewna. Ist Ihr Neffe drogenabhängig oder nicht?«
    »Nein.«
    »Na schön. Das sei mal dahingestellt. Wann haben Sie ihn zum letzenmal gesehen?«
    »Vor zwei Wochen.«
    »Wo? Unter welchen Umständen? Erzählen Sie mir das bitte möglichst genau.«
    »Ich habe ihm Wolle hingeschafft. Sehr feine italienische Wolle, dunkelblau. Er sollte ein Kostüm für mich stricken. Es ist
     wichtig, daß er ständig beschäftigt ist. Ich habe ihn für seine Arbeit bezahlt. Er fühlte sich gebraucht. Das ist eine richtig
     kreative Sache, glauben Sie mir. Er hat sich da ernsthaft reingekniet, ich hab ihm Modezeitschriften gebracht, und er hat
     selbst neue Schnitte entworfen. Hören Sie, wie heißen Sie noch mal?«
    »Andrej Michailowitsch.«
    »Also, verehrter Andrej Michailowitsch, mein Neffe Anton hat mit Rakitins Tod nichts zu tun. Ein purer Zufall.«
    »Was genau ist Ihrer Meinung nach Zufall?«
    »Sie wissen genau, was. Er hatte eine krankhafte Neigung zu alten Frauen. Gerontophilie, das ist eine Krankheit, verstehen
     Sie? Er konnte einfach nichts dagegen tun.«
    »Moment mal, Soja Anatoljewna, nun regen Sie sich doch nicht so auf«, sagte der Hauptmann so sanft wie möglich. »Daß Sliwko
     an Gerontophilie litt, ist mir bekannt …«
    »Gar nichts ist Ihnen bekannt, überhaupt nichts verstehen Sie!« schrie sie. »Lassen Sie den Jungen in Ruhe!«
    »Waren Sie häufig bei ihm?« fragte Leontjew, als die Astachowa sich wieder ein wenig beruhigt hatte.
    »Einmal in der Woche auf jeden Fall. Ich habe ihn nie ohne Aufsicht gelassen.«
    »Zu wem außer Ihnen hatte er noch Kontakt? Hatte er Freunde, Bekannte?«
    »Nein.«
    »Was denn, überhaupt niemanden?«
    »Er hatte Angst vor Menschen. Nach dem, was er durchgemacht hat, bekam er ernsthafte Kommunikationsprobleme.«
    »Und seine Neigung zu alten Frauen? Sie haben doch eben selbst gesagt …«
    »Ich habe gar nichts gesagt! Anton hat zu Hause gesessen und gestrickt. Ich habe sehr streng auf ihn geachtet, ich habe ihn
     mehrmals täglich telefonisch kontrolliert.«
    »Der junge Mann hat also tagelang in völliger Einsamkeit zu Hause gesessen und Pullover für Sie gestrickt?«
    »Ich erkläre Ihnen doch, Anton ist krank. Das Stricken ist eine Art Behandlung, eine Arbeitstherapie. Und was die Einsamkeit
     angeht – ich sah einfach keinen anderen Ausweg. Er ist sehr labil, hat einen schwachen Charakter. Ich befürchtete schlechten
     Einfluß.«
    »Woher bekam er die Drogen?«
    »Welche Drogen?«
    Ihr Gesicht war erdgrau, ihre Augen völlig erstarrt. Er fürchtete, sie könne jeden Moment in Ohnmacht fallen.
    »Soja Anatoljewna, ich sehe, es geht Ihnen wirklich nicht gut. Wir sollten unser Gespräch erst einmal verschieben.«
    »Ja«, hauchte sie.
    Auf dem Weg vom Verlag setzte sich Leontjew in ein kleines

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