Für Nikita
das einer von meinen Leuten war?«
»Ich hab ihn erkannt. Er hat bei ›Garantija‹ gearbeitet. Ich habe Anton nämlich beobachtet, als seine Stimmung sich plötzlich
so rapide veränderte. Sie sagen ja selbst: Er ist krank. Ich bin für ihn verantwortlich, deshalb muß ich wissen, was mit ihm
vorgeht, mit wem er sich trifft, was für ein Job ihm da angeboten wird. Ich habe niemanden außer Anton. Also, wo ist er?«
»Seien Sie nicht so hysterisch. Ich habe verstanden, dieses Gespräch ist wirklich nichts fürs Telefon.«
Soja legte auf und griff nach den Zigaretten. Sie hatte schon lange geahnt, daß man sich mit diesem Mann besser nicht einließ.
Er war so selbstsicher, daß es schon an Dummheit grenzte. Aber Russow hatte ihr bisher immer geholfen.
Vor einiger Zeit hatte sie sich mit alternativer Medizin befaßt, und das war für eine diplomierte Ärztin ziemlich gefährlich.
Wahrsagerinnen, Hexen und Wunderheiler konnten sich immer herausreden, wenn etwas schiefging. Ein Arzt mit Diplom dagegen
trug die volle Verantwortung.
Eines Tages geriet Soja Astachowa, teils dank Russows Aktivitäten, teils durch ihre eigenen kühnen Experimente, sehr dicht
an die Grenze, wo die alternative Medizin endet und die trockenen, gnadenlosen Paragraphen des Strafgesetzbuches beginnen.
»Ich habe Sie gewarnt«, sagte sie zu Russow, »das nimmt noch ein böses Ende. Sie können sich da irgendwie rauswinden, aber
ich? Was wird aus mir? Daß Sie Bescheid wissen: Ich werde Sie nicht decken.«
»Warum denn so finster, Soja? Es gibt einen wunderbaren Ausweg. Sie wechseln einfach den Beruf.«
»Und was soll ich werden, wenn ich fragen darf?«
»Cheflektorin eines Buchverlags«, erwiderte er, ohne zu zögern.
»Was sagen Sie?« Sie verschluckte sich vor Überraschung und griff, zum erstenmal im Leben, mechanisch nach einer Zigarette.
Sie zog sie aus der Packung, die auf dem Tisch lag, und zündete sie an, herzlich belacht von Russow.
»Na sehen Sie, Soja! Schon werden Sie ein anderer Mensch. Sie mit einer Zigarette in der Hand – das schien mir undenkbar.
Als Cheflektorin kann ich Sie mir dagegen durchaus vorstellen. Sie haben immerhin zwei Bücher geschrieben, sogar echte Bestseller.
Sie haben eine Menge Leute davon überzeugt, daß fasten, auf dem Kopf stehen und seinen eigenen Urin trinken sehr gesund ist.
Und da sagen Sie, Sie verstehen nichts von Literatur?«
Die Astachowa glaubte, er wolle sie verspotten, doch er fuhr ungerührt fort: »Formal gehört mir der Verlag nicht. Ich bin
nur einer der Gründer und besitze einen kleinen Anteil daran. Aber ich habe eine Menge Geld investiert, darum möchte ich eine
Person meines Vertrauens auf einem verantwortlichen Posten im Verlag haben. Die Gelegenheit ist günstig. Es gab einen Konflikt
zwischen dem Geschäftsführer und dem Cheflektor, die Stelle ist gerade vakant.«
»Als ob die da ausgerechnet auf mich warten.«
»Doch, das tun sie, Soja. Voller Ungeduld. Die Einzelheiten besprechen wir später. Hauptsache, ich habe Ihr prinzipielles
Einverständnis. Und noch eins« – er berührte mit den Fingerspitzen sanft ihre Hand –, »erzählen Sie niemandem mehr, Sie verstünden
nichts von Literatur.«
Sie trat ihren neuen Posten an und überzeugte sich bald, daß Russow recht gehabt hatte. Natürlich gab es auch Probleme und
Konflikte, aber im großen und ganzen war Soja Astachowa mit ihrem neuen Beruf sehr zufrieden. Sie verdiente damit nicht weniger
als vorher, im Gegenteil. Und vor allem hatte die neue Tätigkeit nichts Gefährliches und Zweideutiges. Die Astachowa war Russow
aufrichtig dankbar.
Doch vor zwei Monaten hatte sie ein äußerst merkwürdiges Gespräch mit Russow gehabt. Er hatte sie ins Restaurant eingeladen
und zwischen mariniertem Neunauge und in Weinlaub gebackenem Flußkrebs gefragt: »Soja Anatoljewna, was meinen Sie, welcher
Autor ist zur Zeit am populärsten?«
Sie zählte ein halbes Dutzend Namen auf und versah jeden mit einem ausführlichen Kommentar.
Russow pickte sich einen Namen heraus. »Was für ein Typ ist Viktor Godunow?«
»Ein Intellektueller. Ein Profi, aber mit großen Ambitionen. Ja – was weiß ich noch über ihn?« Sie berührte nachdenklich mit
der zweizinkigen Gabel den harten Panzer des Flußkrebses. »Er ist geschieden und hat eine zwölfjährige Tochter. Warum interessiert
er Sie plötzlich?«
»Wissen Sie, es ist folgendes«, sagte Russow bedächtig, »ich möchte ein Buch
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