Für Nikita
das Licht zu. Nikita konnte gerade
noch beiseite springen. Ihm schoß durch den Kopf, daß er nur eine Chance hatte: in den Flur rennen. Allerdings war die Wohnungstür
abgeschlossen, und das Schloß klemmte – bis er das im Dunkeln aufkriegte, hatte der Mörder seinen Job längst erledigt.
Wieder erhellte ein Blitz das Zimmer. Nun sah Nikita den Mörder richtig und erkannte ihn: Es war der Kerl, den er heute auf
der Straße getroffen und von weitem fast für seinen Doppelgänge gehalten hatte.
Das klatschnasse Haar wirkte dunkler. Von der schwarzen Jeansjacke troff Wasser. Das weiße Gesicht mit den schwarzen Augenhöhlen
erinnerte Nikita nun überhaupt nicht mehr an sein eigenes. Der Mann hielt eine Pistole in der Hand, die Mündung direkt auf
Nikita gerichtet. Nikita spürte schon, wie die Kugel seinen Kopf durchbohrte, wie der Schädel in einem letzten, gewaltigen
Schmerz explodierte. Plötzlich erleuchtete ein seltsames rötliches Licht das Zimmer. Das Petroleum auf dem Boden brannte.
Der Mörder wich zurück. Doch das Feuer breitete sich rasch aus – fast das gesamte Petroleum aus dem Kanister war ausgelaufen.Direkt zu Füßen des Mörders flammte der Plastekanister auf. Er sprang beiseite, dumpf fiel etwas zu Boden. Vielleicht die
Pistole, hoffte Nikita.
Da ging im Zimmer das Licht an, und geschäftig rumpelte die Waschmaschine weiter. Der Kanister stand in Flammen. Das Feuer
kroch rasch die Nylonvorhänge hinauf und gierig auf die Kiste mit Sinas Ölfarben zu.
Nur eine Sekunde lang starrten sich die beiden Männer im brennenden Zimmer mit irren, vom Rauch tränenden Augen an. Eine nasse
Hand stützte sich auf der Suche nach einem Halt auf das bebende Metallgehäuse der Waschmaschine.
»Ihr Kind leidet an schwerer Unterernährung und ernsthaften psychischen Störungen, irreparablen, wie ich fürchte. Wie konnten
Sie das zulassen? Sie sind schließlich der Vater. Ihr Sohn wurde zufällig von einer Nachbarin erkannt, er hat gebettelt. Wie
ist er zu den Bettlern gekommen?«
»Meine Frau ist mit den Kindern von zu Hause weggegangen. Ich war auf einem Flug.«
Die drei Ärzte und die beiden offiziellen Damen vom Jugendamt sahen Jegorow an wie einen Schwerverbrecher, aber das war ihm
ganz egal. Er stand mit gesenktem Kopf mitten im Büro vor ihnen.
»Sagen Sie, Iwan Pawlowitsch, warum ist Ihre Frau mit den Kindern von zu Hause weggegangen? Gab es Konflikte?«
»Meine Frau ist vor einem Jahr in eine Sekte geraten und hat auch die Kinder dorthin mitgenommen. Die Kinder gingen nicht
mehr in die Schule.«
»Und wo waren Sie, Iwan Pawlowitsch? Warum haben Sie sich nicht eingemischt? Sie sind schließlich der Vater. Sie sagen, Ihre
Frau sei in eine Sekte geraten und habe dieKinder dorthin mitgenommen. Was für eine Sekte? Wie heißt sie? Wer leitet sie? Das wissen Sie nicht? Natürlich! Sie haben
sich gar nicht bemüht, das in Erfahrung zu bringen. Nein, wir verstehen, daß Sie bei Ihrem Beruf häufig mehrere Tage nicht
zu Hause sind. Aber man kann doch seinen eigenen Kindern gegenüber nicht derartig gleichgültig sein! Wo ist Ihr anderer Sohn?
Hören Sie, Jegorow, warum schweigen Sie? Sie wollen nicht mit uns reden? Nein, ich bestehe weiterhin darauf, dem Bürger Jegorow
das Sorgerecht zu entziehen. Das Kind ist in einem schrecklichen Zustand. Das ältere Kind und die Frau von Bürger Jegorow
sind verschwunden. Ich denke, das ist ein Fall für die Staatsanwaltschaft.«
»Aber Galina Borissowna! Wenn da wirklich eine Sekte am Werk war, dann konnte Bürger Jegorow überhaupt nichts tun. Ich finde,
wir sollten keine voreilige Entscheidung treffen.«
»Das ist keine voreilige Entscheidung. Hier ist die offizielle Antwort der Direktorin der 137. Schule: ›Auf Ihre Anfrage teilen
wir mit, daß von Mai bis September 1993 die Turnhalle in der unterrichtsfreien Zeit an die Sport- und Gesundheitsgruppe Gesunde
Familie unter Leitung von Dr. med. Soja Astachowa verpachtet wurde. Genehmigung des Stadtkomitees, Pachtvertrag, Zahlungsbelege
sind beigefügt.‹ Weiter …«
Vor Jegorows Augen flimmerten Papiere mit Stempeln und Unterschriften. Dr. med. Soja Astachowa teilte offiziell mit, daß keine
Jegorows ihren Unterricht besucht hätten. Eine Liste der Teilnehmer, mit drei Stempeln versehen, war beigelegt. Sie enthielt
in der Tat niemanden dieses Namens.
Als Hauptargument wurde schließlich ein kompetentes Urteil ins Feld geführt. Es stammte vom Vorsitzenden
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