Für Nikita

Lehrerinnen:
     »Entschuldigung, wo ist hier der nächste Haushaltwarenladen?«
    Er bekam es ausführlich erklärt, nicht nur von beiden Lehrerinnen, sondern auch von den Kindern, im Chor. Er vergaß den Weißblonden,
     sah ihm natürlich nicht nach. Der aber drehte sich dauernd um, und dann rannte er los.
    In der Haushaltwarenabteilung eines riesigen Supermarkts kaufte Nikita einen Haufen Schwämme, Bürsten, einen Schrubber, einen
     Wischeimer, mehrere Insektenfallen, Putzmittel und Waschpulver, sogar Gummihandschuhe.
    In der Lebensmittelabteilung kaufte er etwas zu essen für weitere drei Tage, außerdem versorgte er sich mit Zigaretten, Streichhölzern
     und einer Packung Wegwerfrasierern.
    Wieder in der Wohnung, legte er in Sinas uralten Kassettenrekorder eine Armstrong-Jazzkassette und machte sich ans Putzen.
     Eine derart geballte Attacke hatte die Höhle vermutlich noch nie erlebt. Was Nikita auch anfaßte – alles quietschte und ächzte
     klagend, löste sich, blätterte ab, wie die Farbe vom Fensterbrett.
    Draußen war es längst dunkel, es regnete. Nikita riß das Fenster weit auf und sog gierig die feuchte Nachtluft ein. Der Tag
     war unbemerkt verflogen. Zum Arbeiten war Nikita nicht gekommen, und er hätte wohl kaum noch die Kraft, sich an den Computer
     zu setzen, wenn er mit dem Putzen fertig war. Auch gut. Er brauchte mal eine Auszeit. Der Kampf gegen den Schmutz ist zwar
     eine öde und undankbare Sache, aber gut gegen nervliche Anspannung. Wenn man einen verdreckten Herd scheuert oder ein Bücherregal
     repariert, denkt man weniger an den Tod.
    Er sah aus dem Fenster. Ein Wasserschwall rann ihm vom Dach in den Kragen. Mechanisch stellte er fest, daß man das Fallrohr
     mühelos erreichen konnte – ein geeigneter Notausgang. Die Wohnung lag im obersten Stock. Man konnte am Rohr hochklettern aufs
     Dach oder hinunter. Er beugte sich vor und rüttelte für alle Fälle am Rohr, um zu überprüfen, wie fest es in der Wand verankert
     war. Ja, es würde halten.
    Nikita zündete sich eine Zigarette an, betrachtete kritischdas Zimmer, dann fiel ihm ein, daß er noch eine Waschmaschine anwerfen mußte, sonst hätte er morgen nichts anzuziehen. Der
     nagelneue Halbautomat wirkte zwischen dem ganzen Gerümpel wie ein außerirdisches Raumschiff. Nikita drückte die Zigarette
     aus, steckte den Stecker in die Steckdose und öffnete den Deckel der Waschmaschine. Er bekam einen leichten Schlag. Er erinnerte
     sich an die Gummihandschuhe und zog sie an. Schon bald rumpelte die Waschmaschine gleichmäßig.
    Noch ein, zwei Stunden wirtschaftete er herum, bis er todmüde war. Im Haus war es still, nur das Schnarchen des Nachbarn erschütterte
     die dünne Wand. Der Regen wurde immer heftiger, er trommelte aufs Dach und rauschte im Fallrohr. Ein langer Blitz zerriß den
     Himmel. Der Donner krachte so laut, daß der Nachbar aufhörte zu schnarchen. Das erste richtige Maigewitter in diesem Jahr.
     Einige Sekunden lang war es vollkommen still, nur der Regen pladderte, und die Waschmaschine rumpelte.
    »Ist die wohl bald mal fertig?« murmelte Nikita. Ihm fielen die Augen zu.
    Plötzlich erlosch das Licht. Sina hatte ja gesagt, daß der Strom fast täglich ausfiel, aber bisher war das noch nicht passiert.
     Nikita tastete nach der Petroleumlampe. Sie war leer.
    Im Dunkeln aus dem Kanister Petroleum in die kleine Lampe zu füllen war schwierig, und Nikita verschüttete eine ganze Menge;
     unterm Fenster war nun eine große Petroleumpfütze. Nikita tastete nach einem Lappen und stieß dabei mit dem Fuß den Kanister
     um.
    Über ihm krachte es laut. Erst dachte er, es habe gedonnert, doch dann schepperte es noch einmal, ganz nahe. Es klang blechern
     – vermutlich hatte ein Windstoß die Fernsehantenne abgerissen.
    Das Fenster ging auf ein Ödland, dort gab es keine Straßenlampen, und im Zimmer herrschte dichte, undurchdringliche Dunkelheit.
     Nikita versuchte die Petroleumlampe anzuzünden, aber der Docht war zu weit hineingerutscht, das Streichholz brannte ab und
     versengte ihm die Finger. Das Fenster schlug zu, dann vernahm Nikita ein schweres, nasses Klatschen. Endlich hatte er den
     Docht herausgedreht, und nun sah er im schwachen Licht der Petroleumlampe eine schwarze Silhouette am Fenster.
    Mit der Lampe in der Hand war Nikita eine prima Zielscheibe – ohne recht darüber nachzudenken, schleuderte er sie von sich.
     Glas klirrte, das schwache Flämmchen flackerte heftig. Die schwarze Silhouette stürzte auf