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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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gierig in das unsichtbare
     Objektiv.
     
    1976 wollte ein berühmter italienischer Regisseur Tschechows »Kirschgarten« verfilmen. Die Rolle der Ranewskaja sollte eine
     russische Schauspielerin übernehmen. Zu seinen Kandidatinnen gehörte auch Viktoria Rogowa. Das überraschte alle, bis auf Viktoria
     selbst.
    »Ich hab es immer gewußt, immer …«, japste sie ins Telefon, als sie sämtliche Bekannten anrief und ihnen die umwerfende Neuigkeit
     mitteilte.
    Sie hörte sofort auf zu trinken. Und zu essen, denn für die Rolle mußte sie in zwei Wochen acht Kilo abnehmen. Sie flatterte
     durch die Wohnung, trällerte vergessene französische Chansons und russische Romanzen und schrie Nika kein einziges Mal an.
    Erfolgreich absolvierte sie Foto- und Kameracasting; die letzte Etappe war die Rollenprobe. Es gab nur noch eine einzige Konkurrentin.
     Der Italiener lud Viktoria und ihren Mann ins Restaurant ein. Aus zuverlässigen Quellen wußte sie, daß er die Konkurrentin
     nicht eingeladen hatte.
    Mama und Onkel Wolodja machten sich für den Restaurantbesuch fertig, Nika wollte zum Geburtstag ihrer Freundin Sina Resnikowa.
     Mama war so aufgekratzt, daß sie ganz vergaß, Nika wie üblich zu fragen: »Was ziehst du an?«, sie nicht aufforderte, sich
     anders zu frisieren, und sie nicht als graue Maus bezeichnete. Sie gab ihr zum Abschied einen Kuß.
    Es war ein früher Septemberabend, klar und warm. Nika lief mit einem großen Plüschteddy in einer Plastiktüte die Straße entlang.
     Sina wurde fünfzehn, hatte aber noch immer ein Faible für Plüschtiere. Nika hielt den Teddy im Arm wie ein Baby und dachte,
     daß nun endlich alles gut werden würde. Mama würde die Rolle bekommen, und ihre schwere Zeit wäre vorbei. Auf dem Hof vor
     Sinas Hauseingang überholte sie ein etwa sechzehnjähriger Junge, schlaksig und semmelblond. Er trug einen riesigen Strauß
     weißer Chrysanthemen, mit den Blüten nach unten, und schwang ihn wie einen Besen.
    »Haben Sie das Geschenk für sich selber gekauft?« fragte er und sah sie mit einem idiotischen Lächeln an.
    Nika antwortete nicht, zuckte nur hochmütig mit den Schultern. Der Junge lief voraus und riß galant vor ihr die Haustür auf.
    »Bitte sehr, Mademoiselle!«
    Er machte einen Kratzfuß, verbeugte sich und hob ruckartig den Kopf. Der lange blonde Schopf hüpfte auf und fiel ihm in die
     Stirn.
    »Welche Etage, Lady?«
    »Siebte.«
    »Ein erstaunlicher Zufall. Ich auch.«
    Im Fahrstuhl war ein Spiegel. Nika strich ihr Haar glatt und warf dabei einen Blick auf ihren überraschenden Begleiter. Sein
     Gesicht war unter den langen blonden Zotteln kaum zu sehen.
    Solche albernen Witzbolde kann ich nicht leiden, dachte Nika, und lange Haare bei Jungs auch nicht.
    Er ging mit Nika zu Sinas Wohnungstür und klingelte.
    »Gleich werden wir einander vorgestellt«, verkündete er geheimnisvoll, »es wird mir eine Freude sein, Sie kennenzulernen,
     mein Fräulein.«
    Sina, den Kopf voller Ringellöckchen, im Minirock und orangeroten Rollkragenpulli, riß die Tür auf.
    »Nanu, wieso kommt ihr zusammen?« fragte sie erstaunt. »Wann habt ihr euch denn kennengelernt?«
    »Noch gar nicht. Aber wir brennen darauf«, sagte der Junge und gab Sina den Blumenstrauß.
    Nika küßte Sina und überreichte ihr den Teddy.
    »Danke. Ist der toll!« Sie warf die Blumen auf die Flurkommode und packte das Plüschtier aus. »Ich werde ihn Tschunja nennen.«
    »Ich habe übrigens noch ein Geschenk für dich, viel besser als so ein Tschunja«, sagte der Junge wichtigtuerisch. Er holte
     eine kleine weiße Pappschachtel aus seiner Cordjacke.
    »Donnerwetter, Chanel Nr. 5!« Sina stieß einen Pfiff aus. »Wo hast du denn das her, Rakitin?«
    »Hab ich Mama aus dem Kreuz geleiert. Du hast übrigens vergessen, uns vorzustellen, Gastgeberin.«
    »Nika, darf ich vorstellen, das ist – auch Nika.« Sina klapperte verblüfft mit den Augen, dann lachte sie und konnte nicht
     mehr aufhören. »Sagt mal, was machen wir denn jetzt? Ihr seid beide Nika. Veronika und Nikita, beide Nika. Namensvettern.«
    Der Namensvetter packte Nikas Hand und führte sie hastig an seine Lippen.
    »Ich bin glücklich, Sie kennenzulernen, Señorita.« Er lüpfte einen imaginären Hut, schwenkte den Arm und riß dabei eine kleine
     Skulptur von der Kommode.
    »Rakitin, was ist los, bist du etwa betrunken?« fragte Sina, die noch immer lachte.
    »Wie kommen Sie darauf, daß ich nicht nüchtern bin?«
    »Du machst sonst nie solche

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